Sonntag, 25. Februar 2018

Trägerbudgets - Deal or No-Deal?

Budgets müssen grundsätzlich einen gegenseitigen Nutzen einbringen, so ein Verhandler vor einigen Jahren zum Thema Trägerbudget.

Dass beide Seiten ein gewisses Maß an Sicherheit wollen, ist natürlich verständlich. Der Grund für ein solches Bedürfnis nach Sicherheit kann darin bestehen, dass sich strukturell etwas sehr verändern muss: z.B. der Abbau von Stellen, das Ausprobieren neuer Leistungsformen, ein neuartiges Konzept.

Solche Vereinbarungen zielen darauf ab, die Leistungserbringung zu verändern. Man nimmt also die Bedürfnisse der leistungsberechtigten Menschen in den Blick, und doch geht es nicht um die eigentliche Leistungserbringung, sondern rein um die Bezahlung einer solchen – und der Finanzierung von Strukturen der Leistungsanbieter.  

Oder anders gesprochen: Es geht nicht um die Leistungsqualität, denn die orientiert sich nach den gesetzlich bestimmten Ansprüchen (§§ 53, 54 ff. SGB XII a.F. und § 9 SGB XII; und jetzt auch § 1 SGB IX). Sie ist immer zu gewährleisten von den Leistungserbringern, ein Abweichen von diesen „Standards“ kann es nicht geben. Bei den Verhandlungen um ein Trägerbudget geht es nur ums Geld.


Verhandlungen um ein Trägerbudget als Ausweg aus einer Sackgasse

In 2014 waren die Verhandlungen um die Trägerbudgets, über die nun ein Fachkongress geführt wurde, abgeschlossen. Doch es fand sich ein Interesse bei vielen anderen Leistungserbringern. Auch bei diesen herrschte ein hohes Maß an Unsicherheit, so dass man in den Trägerbudgets eine Alternative sah. Eine solche Form der einrichtungsbezogenen Finanzierung widersprach zwar der Personenzentrierung und dem Grundsatz der leistungsgerechten (variablen) Vergütung, etwas anderes erschien aber nicht verhandelbar.

Seinerzeit waren die Verhandlungen zudem geprägt vom Leitgedanken der „Ambulantisierung“, was so viel bedeutete, stationäre Wohneinrichtungen zurückzubauen in Wohnungen, die vermietet werden sollten an die ehemaligen Bewohner. Man sprach auch von „Umwandlung“, aber im Endeffekt wäre eine stationäre Wohneinrichtung komplett abgeschafft worden – einschließlich des Personals. Bestenfalls hätte man als Leistungserbringer einen Teil dieser Stellen in einen ambulanten Dienst übernehmen können. Doch weil das Vergütungsniveau niedrig und die Fachkraftquote nicht umsetzbar war, befand man sich wieder in einer Sackgasse. Ein Trägerbudget hätte dagegen ein Hinwegsehen ermöglicht über solche kleinlichen Besonderheiten in der Leistungserbringung.

Für die Hamburger Sozialbehörde gab es aber kein Erfordernis, weitere Trägerbudgets zu vereinbaren. Mit den größten Leistungserbringern hatte man ohnehin einen Großteil des „Marktes“ gesichert, so dass man die Insolvenz z.B. eines kleineren Einrichtungsträgers mit den Überkapazitäten bei den Großen hätte kompensieren können. Es gab also kein Risiko mehr, so dass man in Ruhe ein Kalkulationsverfahren entwickeln konnte, dass die Fachleistung von der Grundsicherung trennte. Und wer sich dennoch traute, sollte erst einmal Ideen beibringen, wie Leistungserbringung aussehen wird.


Den Sozialraum zu entwickeln, um eine individuell-angepasste Leistungserbringung zu schaffen

Die großen Trägerbudget-Nehmer arbeiteten weiter an einer Umwandlung von stationären Wohneinrichtungen in Wohngemeinschaften mit ambulanter Betreuung. Neue Wohnkonzepte, die eine Verselbständigung der Bewohner zum Ziel hatten, wurden ausprobiert. Dass es dabei Probleme gab, war zu erwarten. Was heute als „Autonomie und Teilhabe im Sozialraum“ umschrieben wird, bedeutete damals für die betroffenen Menschen eine Leistungsabsenkung.

War es wirklich eine Leistungsabsenkung? Dies musste hinterfragt werden, weil nicht wirklich jedes Leistungsangebot tatsächlich gebraucht wurde. Mit Hilfe von Befragungen (sog. „Queries“) wurden z.B. Wünsche der Leistungsberechtigten und ihre Lebensziele herausgefunden (Stichworte sind: „Wunschwege, Lebensplanung“ und „Gut Gefragt“). Damit war eine Orientierung an den tatsächlichen individuellen Bedarfen möglich; also eine Umkehrung der bisherigen Sichtweise, ein bestimmtes, vereinbartes Leistungsangebot bereitzuhalten.

Nicht immer klappt es mit der Bedarfsorientierung. Mit Einführung der Hilfebedarfsgruppen hatte man sich noch eine „Clearing-Stelle“ ausgedacht, nun wurde eine Interessenvertretung für die leistungsberechtigten, aber sich ungenügend beachteten Menschen benötigt – also eine Stelle zur Lösung von Konflikten aller Art (siehe hierzu meinen Beitrag vom 3.2.2018 – „Beschwerden“).

Aber auch die Bedeutung des Sozialraums und die Rolle des Leistungserbringers darin spielten eine immer gewichtigere Rolle. Ein sehr großer Trägerbudget-Nehmer löste seine örtlichen Strukturen soweit auf, dass heute ein neuer, kleiner Stadtteil entstanden ist; Menschen aus der Nachbarschaft kommen, weil sie auf dem Gelände dieses Leistungserbringers u.a. die Sachen des täglichen Bedarfs besorgen können. Die bisherigen „Anstaltsbewohner“ finden Ablenkung und können „teilhaben“ in der Gemeinschaft.

Dementsprechend veränderten sich die Erwartungen an ein Leistungsangebot, so dass man die Mittel der Eingliederungshilfe insgesamt absenken und dennoch im individuellen Bedarfsfall jederzeit und flexibel wieder aufstocken konnte (Stichwort: Krisenintervention, vgl. Beitrag vom 12.8.2015).


Machen sich die Trägerbudgets bezahlt?

Es können eigentlich nur zwei Trägerbudget-Nehmer näher betrachtet werden, weil es sich bei diesen um privatwirtschaftliche, dennoch gemeinnützige Unternehmen handelt. Einer von diesen hatte seine Vereinbarung mitsamt dem Trägerbudget der Öffentlichkeit zugänglich gemacht, so dass ein Vergleich in etwa möglich ist.



Trägerbudget-Nehmer 1:


Bei diesem Trägerbudget-Nehmer erhöhte sich das Budget in 2015 um 1,89 % (= 600 Tsd. Euro) und in 2016 um 2,17 % (= 700 Tsd. Euro). Die jährliche Steigerung für die Folgejahre liegt bei 600 Tsd. Euro bzw. 1,8 %. Das Trägerbudget nimmt einen sehr wesentlichen Anteil an der Erwirtschaftung von Erlösen ein und liegt zzt. bei 86 %.

Die Umsatzerlöse aus der Betreuungsleistung erhöhten sich mit Einführung des Trägerbudgets um ganze 8,2 %, während ansonsten die Steigerungen bei jährlich knapp 2 bis 3 % liegen. Dieser Anstieg in 2014 ist zwar sehr ungewöhnlich, begründet wird diese Steigerung u.a. mit der Integration von Pflegeleistungen und einem Wachstum im Bereich des unterstützten Wohnens. Es finden sich auch andere Faktoren, doch es gibt eine Korrelation zu den Personalkosten, die sich um 7,1 % erhöhten.

Da der Anteil der Personalkosten konstant geblieben ist, scheint es nur einen organisatorischen Strukturwandel gegeben zu haben. Einen Personalabbau, wie an mancher Stelle befürchtet, lässt sich nicht belegen. Vielmehr haben sich seit 2011 die Stellenanteile kontinuierlich erhöht um jährlich rd. 20 Stellen (in 2016 = 615, in 2014 = 586), wobei natürlich der Bereich der Pflegeleistungen erst in 2014 eingebunden wurde.

Die Umsatzrendite lag in 2016 bei 0,23 %.


Trägerbudget-Nehmer 2:


Nach eigenen Angaben nimmt das vereinbarte Trägerbudget einen Anteil von 2/3 der Umsatzerlöse ein. Demnach entfielen im Vereinbarungsjahr 2014 etwa 17 Mio. Euro auf das Trägerbudget und die übrigen 8,5 Mio. Euro auf andere Leistungsbereiche und ggf. andere Leistungsträger.

Die Entwicklung der Umsatzerlöse verläuft recht stabil, doch in 2016 lag die Steigerung bei 6,24 %. Im Bereich der stationären Betreuung erhöhten sich die Erlöse um 0,9 Mio. Euro ggü. dem Vorjahr auf 19,8 Mio. Euro. Ebenso deutlich erhöhten sich die Erlöse aus der Hortbetreuung um 0,8 Mio. Euro auf 1,6 Mio. Euro. Die Erlöse im Bereich der ambulanten Betreuung und bei den Therapieleistungen stiegen dagegen nur leicht an.

Die Entwicklung der Personalkosten inkl. Zeitarbeitskräfte, hier ist zu beachten, dass man mit 60 % an der BHH Assistenzkontor GmbH, einem Fremdpersonal-Vermittler, beteiligt ist, verlief relativ sprunghaft. Dennoch liegt auch hier der Anteil bei konstanten 76 bis 78 %, so dass man nicht von einem Personalabbau sprechen kann.

Die Umsatzrendite lag in 2016 bei 1,63 %.


Es geht auch mit einem Trägerbudget

Das Trägerbudget hat den beiden Unternehmen keine Einbußen gebracht oder eine wirtschaftliche Gefährdung bedeutet. Vielmehr konnte ein erforderlicher Strukturwandel abgesichert und ein neues Leistungsangebot eingeführt werden. Natürlich finden sich Berichtspositionen, die weiter hinterfragt werden könnten. Im Einklang mit der Entwicklung der Erlöse, ergaben sich Steigerungen bei den Personalkosten, was zeigt, dass die Trägerbudgets nicht wirklich zu einem Personalabbau geführt haben. Zwar musste es eine Effizienzverbesserung geben, doch nach wie vor wird Fachpersonal benötigt. Bemerkenswert ist, dass beim zweiten Trägerbudget-Nehmer der Anstieg der Erlöse zuletzt fast das Doppelte gegenüber dem ersten Trägerbudget-Nehmer ausmacht. Leider ist nicht bekannt, wie hoch der Anteil der Erlöse aus dem Trägerbudget in 2016 war; es wird lediglich darauf verwiesen, dass jährlich eine Steigerung erfolgt.

In diesem Jahr muss über das neue Trägerbudget verhandelt werden. Der Fachkongress hat vielleicht geholfen, die Bedeutung dieser Vereinbarung noch einmal herauszustellen. Alle Beteiligten und auch den vielen Besuchern ist dabei klar geworden, dass mit Hilfe dieser einrichtungsfinanzierenden Vergütungsform ein Strukturwandel in Hamburg gelungen ist. Nicht mehr das Leistungsangebot steht im Vordergrund, sondern die Lebensplanung und die Wünsche des leistungsberechtigten Menschen.

Oder mit anderen Worten: Eine Umkehrung der bisherigen Sichtweise, weg vom Angebot und hin zur eigentlichen Nachfrage, ist gelungen.

Vermutlich wird es das Trägerbudget für weitere Jahre geben. Und vielleicht finden sich erneut einige Leistungserbringer, die diesem Beispiel folgen wollen. In Berlin hatte man diesbezüglich schon Erfahrungen sammeln können, in Hamburg geschieht dies jetzt. Aber ob das Trägerbudget eine Lösung für Flächenländer darstellt, das ist sehr fraglich.

CGS






Hat Ihnen der Beitrag gefallen? Empfehlen Sie ein//gegliedert weiter.

Wollen Sie Ihre Meinung sagen? Ihre Kritik interessiert mich. Vielleicht können Sie mir sogar eine neue Perspektive aufzeigen. Darüber würde ich mich freuen. Meine Email-Adresse finden Sie auf der Seite Über mich.

Trägerbudgets - Deal or No-Deal? – eingegliedert.blogspot.com