Mittwoch, 6. November 2019

Unterhaltsrückgriff und die 100 000 Euro-Frage (Teil 2)

Immer wieder wird nach den Einkommensgrenzen für Leistungen der Sozialhilfe gefragt. …

Vier Teile sind es geworden, die ich nacheinander vorstellen möchte. Im ersten Teil wurden Behauptungen aufgestellt, die nun begründet werden müssen. Vorerst aber soll im zweiten Teil die Personengruppe benannt werden, die mit den Besonderheiten privilegiert werden (wenn man es einmal so sagen darf). Dies soll helfen, eine Abgrenzung zu den anderen Leistungsbereichen vorzunehmen; und gleichzeitig ein mögliches Fehlerpotential zu benennen.

In den beiden verbliebenen Teilen wird es dann um Begründungen gehen und eine Art Ausblick auf weitere aktuelle Entwicklungen im Recht der Sozialhilfe (Stichwort: Angehörigen-Entlastungsgesetz, seit dem 23.9.2019 in der parlamentarischen Auseinandersetzung).


Es ändern sich die rechtlichen Grundlagen, der Bedarf ändert sich nicht

Worum es sich jetzt drehen soll, ist ein besseres Verständnis zu erhalten, warum es verschiedene Leistungsbereiche gibt für die Versorgung eines Menschen mit Behinderung und dem Bedarf an Eingliederungshilfe. Diese Menschen werden nämlich bald nicht mehr in einer vollstationären Wohneinrichtung leben. Diese Einrichtungen werden „per Gesetz“ umgewandelt in eine besondere Wohnform. Doch an der Leistungserbringung an sich wird es keine Änderungen geben; alles bleibt in der Praxis insofern beim Alten. Es ändern sich lediglich die rechtlichen Grundlagen und die Zuständigkeiten für die Leistungsträger.

Worum es nicht gehen soll, sind die Hilfen zum Lebensunterhalt nach dem 3. Kapitel SGB XII oder Grundsicherung nach dem SGB II. Es verstehen sich zwar darunter ebenfalls Leistungen zur Überbrückung einer Notlage, aber der Personenkreis ist ein anderer: Personen, die nicht erwerbsgemindert sind bzw. bei denen die Erwerbsminderung wahrscheinlich nur vorübergehend ist.

Personen, die dagegen dauerhaft voll erwerbsgemindert sind oder die Altersgrenze für Rente (ab 65 Jahre) erreicht haben, erhalten Grundsicherungsleistungen nach dem 4. Kapitel SGB XII. Die Grundsicherung soll also den Versorgungs-Bedarf decken, wenn ab dem 1.1.2020 die Eingliederungshilfe als eine reine Fachleistung entkoppelt wird von dem übrigen – aber wie gesagt: es ändern sich lediglich die rechtlichen Grundlagen.

Die Leistungserbringer tun nach wie vor das, was sie vorher getan haben, müssen aber jetzt Verträge neu schreiben und ihre Verwaltungsarbeit neu organisieren. Die rechtlichen Betreuer sollen dagegen rechtzeitig aussagekräftige Anträge bei den jeweils zuständigen Behörden stellen; davon gibt es nun zwei: Fachamt / Fachdienst Eingliederungshilfe und Grundsicherungsamt.


Wenn Anträge richtig gestellt werden, könnten Fehler dennoch passieren

Doch auch wenn die Anträge richtig gestellt wurden, Fehler kann es noch immer geben. In früheren Jahren hatte man in einer ähnlichen Reform vereinzelnd Leistungsberechtigte mit einem Anspruch auf Eingliederungshilfe in einem Fachbereich des Sozialamtes für Hilfen zur Pflege (!) geführt, weil sie eine „Pflegestufe“ hatten. Oder statt junge geistig-behinderte Menschen an eine Wohnstätte der Eingliederungshilfe zu vermitteln, wurden sie in Alten- und Pflegeheime untergebracht. Das waren zwar nur „Einzelschicksale“, aber immerhin.

Was würde nun passieren, wenn ein „dauerhaft Erwerbsgeminderter“ nicht als Leistungsberechtigter für Grundsicherungsleistungen betrachtet wird? – Oder anders gefragt: Was ist, wenn man sich schlichtweg vertut und der Mensch wird als ein Leistungsberechtigter nach § 19 Abs. 1 SGB XII (HZL) und nicht nach Abs. 2 (GRUSI) eingestuft?

Da es keine Einschränkung des Unterhaltsrückgriffs (Verwandtenrückgriff) gibt, wie in § 43 Abs. 5 SGB XII vorgesehen, wäre die Unterhaltspflicht auf einmal ein Thema, mit dem sich die Eltern von Leistungsberechtigten in den besonderen Wohnformen auf einmal konfrontiert sehen. Das Verwaltungsverfahren wäre natürlich fehlerhaft und müsste geändert werden (weil schließlich die Bestimmung des Vorrangs gem. § 19 Abs. 2 S. 2 SGB XII unbeachtet blieb), aber das müsste zuerst einmal entdeckt werden.

… Teil 3





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