In diesem dritten
(zugegebenermaßen sehr ausführlichen) Teil geht es um die vier Besonderheiten,
die ich im § 43 Abs. 5 SGB XII glaube herauslesen zu können.
Bezieht sich der Begriff des Gesamteinkommens auf das
gesamte Einkommen der Eltern?
Der Begriff des „Gesamteinkommens“ ist sehr irreführend,
gerade dann wenn sich Eltern eines erwachsenen Kindes damit auseinandersetzen
müssen. In vielen Fällen reichen die Eltern eine gemeinsame Steuererklärung
ein, manchmal gibt es „den Hauptverdiener“, und häufig genug leben die Eltern
voneinander getrennt – jeder verdient dann für sich selber. Nach Auffassung von
Experten würde hier eine Benachteiligung von Ehe und Familie eintreten (Art. 6
GG), wenn man als Gesamteinkommen das von zwei Eheleuten „gemeinsam“ rechnet,
aber bei Geschiedenen das jeweilige Einkommen getrennt prüft. Umgekehrt würde
man doch auch nicht das gesamte Einkommen aller Kinder heranziehen bei einem
mittellosen Elternteil (vgl. dazu auch Schoch in LPK-SGB XII, 8. Auflage, S.
352, Rz. 9; und auch BSG-Urteil vom 25.4.2013, Az. B 8 SO 21/11 R, Rz. 22).
Am 25.4.2013 befand zum Beispiel das Bundessozialgericht,
dass mit dem „Gesamt“ nicht das gemeinsame Gesamteinkommen der
Unterhaltspflichtigen gemeint ist, sondern das Gesamteinkommen jeder einzelnen
Person, die (möglicherweise) zum Unterhalt verpflichtet wäre: „Ein Anspruch auf
Leistungen der Grundsicherung scheidet wegen der Inanspruchnahme
unterhaltspflichtiger Eltern nicht schon aus, wenn beide Eltern zusammen über
ein jährliches Gesamteinkommen von 100 000 Euro verfügen, sondern erst, wenn
dies für mindestens einen Elternteil zutrifft.“ (1. Leitsatz vom BSG-Urteil,
Az. B 8 SO 21/11 R). Wenn eine Person ein Einkommen aus mehreren Einkunftsarten
erzielt (z.B. das Honorar, das Arbeitseinkommen und Gewinne aus einem Gewerbe),
handelt es sich bei der Summe daraus um das Gesamteinkommen.
„Der Unterhaltsanspruch eines Kindes richtet sich nicht
gegen ´die Eltern´ zusammen, sondern immer gegen den einzelnen Elternteil,
abhängig von dessen eigener Leistungsfähigkeit“ (Rz. 22).
Darüber hinaus stellte das BSG die ursprüngliche Absicht
des Gesetzgebers bei Einführung des Grundsicherung-Gesetzes fest: „Im
Gesetzgebungsverfahren war zunächst vorgesehen, nach § 91 Abs 1
Bundessozialhilfegesetz (BSHG) einen Abs 1a einzufügen, der bei Leistungen der
Grundsicherung einen vollständigen Verzicht auf die Berücksichtigung von
Unterhaltsansprüchen regeln sollte (BT-Drucks 14/4595, S 30 und 72, jeweils zu
§ 91 BSHG). Dies änderte sich zunächst nicht mit der Beschlussempfehlung des
Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung, die für Leistungen der Grundsicherung
im Alter und bei Erwerbsminderung die Einführung des GSiG vorsah (BT-Drucks
14/5146, S 153; BT-Drucks 14/5150, S 49 zu § 2 Abs 1 GSiG). Der vollkommene
Verzicht auf die Inanspruchnahme Unterhaltspflichtiger wurde erst im
Vermittlungsausschuss dadurch eingeschränkt, dass beim Einkommen der Eltern bzw
Kinder von über 100 000 Euro kein Anspruch auf Grundsicherung bestehen sollte
(vgl zur Gesetzgebungsgeschichte Schoch in LPK-GSiG § 2 RdNr 5 bis 11, 54).
Damit sollte (nur) gewährleistet werden, dass hohe Einkommen (gemeint: des
Einzelnen) nicht vom Unterhaltsrückgriff befreit werden (Plenarprotokoll
14/168, S 16430).“ (a.a.O., Rz. 23).
Nochmal: zur Prüfung herangezogen wird das gesamte Einkommen einer jeden Einzelperson, keinesfalls das gemeinsame Einkommen des Elternpaares (oder aller Kinder bei kinderreichen, aber mittellosen Eltern).
Dass es die Eltern überhaupt treffen kann, hat, wie
gesagt, mit dem bürgerlichen Rechtsanspruch auf Unterhalt durch die Angehörigen
des ersten Grads zu tun (§ 1601 BGB), wenn kein Zusammenleben von Eltern und
Kind in einem gemeinsamen Haushalt stattfindet. Weil es sich um einen
einklagbaren Anspruch handelt, kann bei Vorliegen einer entsprechenden
Bedürftigkeit (§ 1602 BGB) ein Unterhalt verlangt werden. Da die Sozialhilfe
nachrangig ist, aber im Falle einer Notlage zunächst im vollen Umfang eintritt,
kann sich der leistende Sozialhilfeträger von den Unterhaltsverpflichteten die
Kosten erstatten lassen (§ 94 Abs. 1 SGB XII).
In welchem Umfang die Erstattung tatsächlich ausfallen
wird, hat wiederum mit der Leistungsfähigkeit der Unterhaltsverpflichteten zu
tun (§ 1603 BGB). Diese Leistungsfähigkeit beschränkt sich dabei nicht nur auf
die Summe aller Einkünfte, vielmehr muss auch ein ausreichender
„Mindestselbstbehalt“ bedacht werden, der bei steigendem Einkommen ebenfalls
steigend ist. Im Falle von zusammenlebenden Eltern muss von daher auch die
Bedarfsdeckung des Ehepartners bedacht werden. Bei getrennt lebenden Eltern
wiederum wird ein solcher Unterhaltsanspruch von Ehepartnern dagegen nur bis
zur Höhe von Sozialhilfeleistungen bemessen (an dieser Stelle käme wohl auch
die „Düsseldorfer Tabelle“ ins Spiel). Benötigen Unterhaltspflichtige selbst
Sozialleistungen für den Lebensunterhalt (z.B. Hartz-4), ist eine
Leistungsfähigkeit grundsätzlich nicht anzunehmen. Und wenn durch den Unterhalt
eine Hilfebedürftigkeit entsteht, ist der Erstattungsanspruch bis zu der
Eintrittsgrenze gedeckelt (§ 94 Abs. 3 SGB XII; „unbillige Härte“ und vgl. dazu
den Tipp „Mindestselbstbehalt“ in Jäger und Thomé, S. 364).
Ist das zu versteuernde Jahreseinkommen das
Gesamteinkommen?
Mit der „Summe der Einkünfte“ aus dem § 16 SGB IV ist
nicht der Begriff des „zu versteuernden Einkommens“ aus § 2 Abs. 5 EStG gemeint.
Nach § 2 Abs. 2 EStG sind Einkünfte (1.) bei Land- und
Forstwirtschaft, Gewerbebetrieb und selbständiger Arbeit der Gewinn, und (2.) bei den anderen Einkunftsarten der Überschuss der Einnahmen über die
Werbungskosten. Da es insgesamt sieben Einkunftsarten gibt, ist für jede
eine gesonderte Bestimmung vorzunehmen (vgl. § 2 Abs. 1 EStG).
Werbungskosten müssen berücksichtigt werden, da
Bruttoeinnahmen nur aufgrund der Einwerbung und des Produkt / Waren /
Dienstleistungs-Angebotes erzielt werden können. Man kann auch von einem
unauflöslichen Zusammenhang sprechen, der zuletzt im besten Fall einen Gewinn
oder Überschuss einbringt, damit eine Leistungsfähigkeit begründet ist.
Nun ist es aber so, dass nicht jeder Aufwand, Ausgabe
oder ein Verlust berücksichtigt werden kann für die Bestimmung eines
Gesamteinkommens. In einem BSG-Urteil vom 25.8.2004 (Az. B 12 KR 36/03 R) wurde
genau dies betont, sogar mit dem Hinweis: „Eine noch weitergehende
Berücksichtigung das Gesamteinkommen mindernder Aufwendungen und Ausgaben hält
der Senat dagegen nicht für verfassungsrechtlich geboten (vgl BSG SozR 3-2500 §
10 Nr 21 S 102 zur Nichtberücksichtigung der Zahl der Kinder bzw der
Freibeträge beim Ausschluss aus der Familienversicherung).“ Und: „Erst recht
liegt kein Verstoß gegen Art 3 Abs 1 iVm Art 6 Abs 1 GG vor, soweit aus den
oben genannten Gründen [familiäre Belastungen, eig. Anmerkung] nicht sämtliche
steuerlich relevanten Freibeträge auch bei der Bestimmung des Gesamteinkommens
berücksichtigt werden.“ – das BSG bestätigte übrigens an dieser Stelle, dass
mit dem Gesamteinkommen im Sinne des § 16 SGB IV das gleiche gemeint ist wie in
§ 10 Abs. 3 SGB V
Umgekehrt ist aber auch nicht jede Einnahme hinzuzunehmen
für die Bestimmung des Gesamteinkommens. In seiner Begründung zu einem
Verfahren vom 25.4.2013 (Az. B 8 SO 21/11 R, Rz. 20) sagte das BSG: „Mit dem in
Halbsatz 1 enthaltenen Verweis auf das Steuerrecht werden diejenigen Einkünfte
in Bezug genommen, die der Steuerpflicht unterliegen, sodass z.B.
Steuerfreibeträge oder Werbungskosten abzuziehen sind (BSGE 91, 83 ff RdNr 7 ff
= SozR 4-2500 § 10 Nr. 2).“ Von den Werbungskosten (oder den
Steuerfreibeträgen) mal abgesehen, stellt das BSG heraus, dass nur Einkünfte zu
berücksichtigen sind, die der Steuerpflicht unterliegen; Einkünfte nach §§ 3
und 3b EStG unterliegen nicht der Steuerpflicht und wären somit nicht zu
berücksichtigen.
Wiederum eingerechnet werden dagegen Abfindungen (BSG-Urteil vom 25.1.2006, Az. B 12 KR 2/05 betreffend monatliche Beträge).
Grundsätzlich sind also die Einnahmen um die Aufwendungen
zu kürzen, die im engen Zusammenhang stehen mit der Erzielung der Einnahmen.
Die sich daraus ergebenden Einkünfte müssen allerdings nach dem Willen des
Gesetzgebers bei der Verwendung in einer „außersteuerlichen Rechtsnorm“, wie
sie das SGB IV bzw. das SGB V darstellen, um bestimmte Größen korrigiert werden
(§ 2 Abs. 5a EStG). Zu diesen bestimmten Größen zählen der gesonderte
Steuertarif für Kapitalerträge (§§ 32d Abs. 1, 43 Abs. 5 EStG), Ergebnisse aus
einem Teileinkünfteverfahren (§§ 3 Nr. 40, 3c Abs. 2 EStG) sowie abziehbare
Kinderbetreuungskosten (§ 10 Abs. 1 Nr. 5 EStG).
Ein zu versteuerndes Einkommen erhält man, wenn ganz
andere Beträge hinzugenommen werden oder sogar ein Verlust geltend gemacht
wird. Es geht jedoch um die Leistungsfähigkeit, die für einen Unterhalt
maßgeblich ist. Von daher können „Persönliche Steuern,
Sozialversicherungsabgaben, Unterhaltspflichten und sonstige
sozialhilferechtlich oder unterhaltsrechtlich anzuerkennende Aufwendungen“
nicht berücksichtigt werden (Rz. 224, Empfehlungen des Deutschen Vereins zur
Heranziehung von Unterhaltspflichtiger in der Sozialhilfe, SGB XII).
Muss ein Vermögen zum Unterhalt verwendet werden?
In § 10 Abs. 3 SGB V ist keine Rede von einem Vermögen,
sondern man spricht dort lediglich von dem Gesamteinkommen. In § 43 Abs. 5 SGB
XII steht etwas zu einer „Jahreseinkommensgrenze“ (Einkommens-Obergrenze), aber
kein Wort zur Verwendung eines Vermögens. Von daher lautet die Antwort an
dieser Stelle: Nein (dazu auch Rz. 226, Empfehlungen des Deutschen Vereins zur
Heranziehung von Unterhaltspflichtiger in der Sozialhilfe, SGB XII).
Was ist mit dieser Vermutung eigentlich gemeint?
Bei dieser Sache mit der Vermutung wird das Verfahren ein
wenig vereinfacht, weil der zuständige Leistungsträger lediglich etwas
„vermuten“ muss basierend auf den bekannten Fakten im Zusammenhang mit der
Antragsstellung. Es muss nicht groß ermittelt werden. Ein absolutes Wissen über
alles wird nicht benötigt.
Im SGB XII finden sich mehrere Stellen, in denen
ausdrücklich der Begriff der Vermutung verwendet wird (z.B. § 39, Vermutung der
Bedarfsdeckung; § 43 Abs. 3, Einkommensüberschreitung; § 94 Abs. 2,
Unterhaltsanspruch-Übergang).
Das Besondere an der Vermutungsregel in § 43 Abs. 3 SGB
XII ist, dass man seitens des Leistungsträgers annimmt, die Einkommensgrenze
von 100.000 Euro (Obergrenze) wird „nicht überschritten“. Erst wenn es
Anhaltspunkte dafür gibt, dass dem nicht so ist (z.B. das Tragen einer Rollex,
Herumfahren mit dem Porsche), können von der antragstellenden Person Angaben
verlangt werden, die einen Rückschluss erlauben auf die Einkommensverhältnisse
der Angehörigen. Diese Angaben müssten natürlich weiter konkretisiert werden,
damit ein Einkommen errechnet werden kann. Ein Antragsteller wäre jedenfalls
zur Mitwirkung verpflichtet (§ 60 SGB I), und diese Mitwirkungspflicht
erstreckt sich somit auch auf die Dritten.
An dieser Stelle ist es wichtig zu wissen, dass
„hinreichende Anhaltspunkte für ein Überschreiten“ der Einkommensgrenze
vorliegen müssen (§ 43 Abs. 3 S. 5 SGB XII), damit eine Entscheidung
hinsichtlich des Leistungsanspruchs gefällt werden kann vom Leistungsträger (S.
3). Verweigern sich die Angehörigen, findet keine Mitwirkung statt, müsste ja dennoch der
Antragsteller Hilfeleistungen erhalten. Für den Sozialhilfeträger besteht nach
wie vor die Pflicht zur Hilfestellung.
Weil aber nach § 94 Abs. 1 SGB XII der Unterhaltsanspruch
einer leistungsberechtigten Person (leistungsberechtigt, weil in einer Notlage
sich befindlich) auf den Sozialhilfeträger übergeht, kann ein Träger von
Sozialhilfeleistungen diesen Rechtsanspruch gegen einen möglichen
Unterhaltspflichtigen durchsetzen und Entschädigungsleistungen einklagen (vgl.
auch Abs. 5; Rz. 11 und Rz. 64 ff., Empfehlungen des Deutschen Vereins zur
Heranziehung von Unterhaltspflichtiger in der Sozialhilfe, SGB XII ).
Das LSG Niedersachsen-Bremen erkannte jedenfalls den Sinn
dieser Vermutungs-Regelung darin, dass für die Verwaltung eine „Handhabe … zur
Verfügung [gestellt wird], um in offensichtlichen Fällen von sehr hohen
Einkommen nicht auf Kosten des Steuerzahlers eine ungerechtfertigte
Sozialleistung erbringen zu müssen (vgl. Schoch, in: LPK- GSiG, § 2, Rdnr 54).“
(Urteil vom 28.07.2011, Az. L 8 SO 10/09; siehe auch Notizen weiter unten)
Nichtsdestotrotz muss aber etwas Offensichtliches
vorliegen, was die Behörde dann zu der Vermutung führt, der geltend gemachte
Bedarf sei unbegründet.
… Teil 4
Quellen:
Bundessozialgericht, Urteil vom 25.4.2013, Az. B 8 SO
21/11 R
Bundessozialgericht, Urteil vom25.8.2004, Urteil vom B 12
KR 36/03 R
Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen Urteil vom
28.07.2011, Az. L 8 SO 10/09
Lexikonbeitrag aus Haufe SGB Office Professional
Autor: Norbert Finkenbusch
GKV-Spitzenverband
Grundsätzlich Hinweise
Gesamteinkommen im Rahmen der Prüfung der Voraussetzungen
der Familienversicherung
Vom 12.6.2019
AG TUWas
Leitfaden Sozialhilfe für Menschen mit Behinderung und
bei Pflegebedürftigkeit von A – Z
Stand 1.11.2011
ISBN: 978-3-932246-82-1
Bezugsmöglichkeit: Digitaler Vervielfältigungs- und
Verlags-Service (DVS)
Frank Jäger und Harald Thomé
Leitfaden Alg II / Sozialhilfe von A – Z
Ausgabe 2011/2012
Stand 1.6.2011
ISBN: 978-3-932246-81-4
Bezugsmöglichkeit: Digitaler Vervielfältigungs- und
Verlags-Service (DVS)
Empfehlungen des Deutschen Vereins zur Heranziehung von
Unterhaltspflichtiger in der Sozialhilfe (SGB XII)
Veröffentlicht am 12.3.2014
Bezug über Tacheles e.V. (https://tacheles-sozialhilfe.de)
Notizen:
Am 25.8.2004 erklärte das BSG: „Einkünfte sind nach § 2 Abs
2 EStG bei Land- und Forstwirtschaft, Gewerbebetrieb und selbstständiger Arbeit
der Gewinn, bei den übrigen Einkunftsarten der Überschuss der Einnahmen über
die Werbungskosten iS von §§ 8 bis 9a EStG. Auf diesen Begriff der Einkünfte iS
des § 2 Abs 2 EStG wird in § 16 Halbsatz 1 SGB IV Bezug genommen. Zur Summe der
Einkünfte iS des Einkommensteuerrechts und damit zum Gesamteinkommen zählen
somit ua die Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit, bei deren Ermittlung
Werbungskosten (§§ 8 bis 9a EStG) abzuziehen sind, sowie die Einkünfte aus
Kapitalvermögen, bei deren Ermittlung der Sparer-Freibetrag abzuziehen ist (§ 2
Abs 1 Satz 1 Nr 5, § 20 Abs 4 EStG; vgl BSG SozR 3-2500 § 10 Nr 19 S 78 sowie
BSGE 91, 83, 85 = SozR 4-2500 § 10 Nr 2).“ (Az. B 12 KR 36/03 R)
In seiner Begründung ging das BSG sogar so weit und
erklärte, wie man auf das „zu versteuernde Einkommen“ kommt – allerdings
natürlich basierend auf der damaliger Rechtsgrundlage: „Diese Abzugsposten sind
nur für den Gesamtbetrag der Einkünfte, das Einkommen und das zu versteuernde
Einkommen bedeutsam. Der Gesamtbetrag der Einkünfte ergibt sich, wenn von der Summe der Einkünfte iS des § 2 Abs 2 EStG
(entspricht dem Gesamteinkommen) der Altersentlastungsbetrag, der
Entlastungsbetrag für Alleinerziehende oder Abzüge nach § 13 Abs 3 EStG
abgezogen werden (§ 2 Abs 3 EStG). Das Einkommen des Steuerpflichtigen ergibt
sich, wenn vom Gesamtbetrag der Einkünfte weiter Sonderausgaben und
außergewöhnliche Belastungen abgezogen werden (§ 2 Abs 4 EStG). Wird das Einkommen
schließlich um Kinderfreibeträge nach § 32 Abs 6 EStG oder sonstige vom
Einkommen abzuziehende Beträge vermindert, erhält man das zu versteuernde
Einkommen (§ 2 Abs 5 Satz 1 EStG).“ – Wichtiger Punkt ist also, dass das
Gesamteinkommen der Summe der Einkünfte aus § 2 Abs. 2 EStG entspricht.
Das BSG stellte zudem fest, dass das vorinstanzliche
Sozialgericht „… es zu Recht abgelehnt [hat], zur Ermittlung des
Gesamteinkommens von den Einkünften der Klägerin oder ihres Ehemannes
Sonderausgaben, außergewöhnliche Belastungen (§ 33 EStG), Kinderfreibeträge (§
32 Abs 6 EStG) und Haushaltsfreibeträge (früher § 32 Abs 7 EStG) abzuziehen.
Denn zur Bestimmung des Gesamteinkommens nehmen § 16 SGB IV und § 10 Abs 3 SGB
V nicht auf das zu versteuernde Einkommen iS des § 2 Abs 5 Satz 1 EStG, nicht
auf das Einkommen iS des § 2 Abs 4 EStG und auch nicht auf den Gesamtbetrag der
Einkünfte iS des § 2 Abs 3 EStG Bezug. Anknüpfungspunkt ist vielmehr die Summe
der Einkünfte vor Abzug der in § 2 Abs 3 bis 5 EStG genannten Abzugsposten.“
Auch wenn es hier um den Begriff des Gesamteinkommens aus §
10 Abs. 3 SGB V ging, das BSG sah darin keinen Unterschied zu dem Begriff des
Gesamteinkommens aus § 16 SGB IV. Und dementsprechend ist mit dem Bezug auf die
Summe der Einkünfte somit der Gewinn bzw. der Überschuss der Einnahmen über die
Werbungskosten als Einkommen zu verstehen; oder anders gesagt: Die Einnahmen
sind um die Aufwendungen zu kürzen, die im engen Zusammenhang stehen mit der
Erzielung der Einnahmen (vgl. § 2 Abs. 2 EStG).
Zu beanstanden ist übrigens, dass das Sozialrecht dem
Begriff des Einkommens eine ganz andere Bedeutung vergibt, also nicht so, wie
im Einkommenssteuerrecht (vgl. dazu Schoch in LPK-SGB XII, 8. Auflage, S. 352).
§ 43 Abs. 2 SGB XII i.d.F. vom 1.1.2011
(2) Unterhaltsansprüche der Leistungsberechtigten gegenüber
ihren Kindern und Eltern bleiben unberücksichtigt, sofern deren jährliches
Gesamteinkommen im Sinne des § 16 des Vierten Buches unter einem Betrag von
100.000 Euro liegt. Es wird vermutet, dass das Einkommen der
Unterhaltspflichtigen nach Satz 1 die dort genannte Grenze nicht überschreitet.
Zur Widerlegung der Vermutung nach Satz 2 kann der zuständige Träger der
Sozialhilfe von den Leistungsberechtigten Angaben verlangen, die Rückschlüsse
auf die Einkommensverhältnisse der Unterhaltspflichtigen nach Satz 1 zulassen.
Liegen im Einzelfall hinreichende Anhaltspunkte für ein Überschreiten der in
Satz 1 genannten Einkommensgrenze vor, sind die Kinder oder Eltern der
Leistungsberechtigten gegenüber dem Träger der Sozialhilfe verpflichtet, über
ihre Einkommensverhältnisse Auskunft zu geben, soweit die Durchführung dieses
Buches es erfordert. Die Pflicht zur Auskunft umfasst die Verpflichtung, auf
Verlangen des Trägers der Sozialhilfe Beweisurkunden vorzulegen oder ihrer
Vorlage zuzustimmen. Leistungsberechtigte haben keinen Anspruch auf Leistungen
der bedarfsorientierten Grundsicherung, wenn die nach Satz 2 geltende Vermutung
nach Satz 4 und 5 widerlegt ist.
Einkünfte nach dem Steuerrecht (§ 2 Abs. 1 EStG):
·
Land- und Forstwirtschaft
·
Gewerbebetrieb
·
selbständiger Arbeit
·
nichtselbständiger Arbeit
·
Kapitalvermögen
·
Vermietung und Verpachtung
·
sonstige Einkünfte im Sinne des § 22; zum
Beispiel: Einkünfte aus wiederkehrenden Bezügen und Entschädigungsleistungen
(Nr. 1 und Nr. 4), Leibrenten und andere Leistungen (Nr. 1 S. 3 lit. a),
Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften (Nr. 2), Leistungen aus
Altersvorsorgeverträgen, Pensionsfonds, Pensionskassen und Direktversicherungen
(Nr. 5)
Zum Einkommen einer leistungsbeantragenden Person gehören
zuerst einmal „alle Einkünfte in Geld oder in Geldeswert“ (vgl. § 82 Abs. 1 S.
1 SGB XII), was wörtlich zu nehmen ist. In der Verordnung zur Durchführung des
§ 82 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (BSHG§74DV) heißt es sogar, dass „alle
Einnahmen ohne Rücksicht auf ihre Herkunft und Rechtsnatur sowie ohne Rücksicht
darauf, ob sie zu den Einkunftsarten im Sinne des Einkommensteuergesetzes
gehören und ob sie der Steuerpflicht unterliegen, zugrunde zu legen sind“ (§ 1
BSHG§74DV). Von daher sind auch steuerfreie Einnahmen hinzuzurechnen, nicht
aber die zuvor in den Absätzen 2 bis 4 vom § 43 SGB XII genannten Ausnahmen.
Grundsätzlich soll von den monatlichen Bruttoeinnahmen
ausgegangen werden. Nach § 82 Abs. 3 S. 2 SGB XII werden „Sonderzuwendungen,
Gratifikationen und gleichartige Bezüge und Vorteile, die in größeren als
monatlichen Zeitabständen gewährt werden, […] wie einmalige Einnahmen [behandelt]“.
Diese Regelung könnte besonders dann relevant sein, wenn ein regelmäßiges
Einkommen ermittelt werden soll. Würden solche einmaligen Einnahmen
ausgeklammert werden, reduziert sich das einzusetzende Einkommen.
Ausgaben, die mit der Erzielung der Einkünfte zu tun haben,
reduzieren ebenfalls das einzusetzende Einkommen. Dies ist ein Grundsatz, der
anerkennt, dass die mit dem Einkommen „verbundenen notwendigen Ausgaben“ wie im
Steuerrecht als Werbungskosten abzuziehen sind (siehe dazu auch § 3 Abs. 4
BSHG§74DV).
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Unterhaltsrückgriff und die 100 000 Euro-Frage