Mittwoch, 13. November 2019

Unterhaltsrückgriff und die 100 000 Euro-Frage (Teil 3)

Immer wieder wird nach den Einkommensgrenzen für Leistungen der Sozialhilfe gefragt. …

In diesem dritten (zugegebenermaßen sehr ausführlichen) Teil geht es um die vier Besonderheiten, die ich im § 43 Abs. 5 SGB XII glaube herauslesen zu können.


Bezieht sich der Begriff des Gesamteinkommens auf das gesamte Einkommen der Eltern?

Der Begriff des „Gesamteinkommens“ ist sehr irreführend, gerade dann wenn sich Eltern eines erwachsenen Kindes damit auseinandersetzen müssen. In vielen Fällen reichen die Eltern eine gemeinsame Steuererklärung ein, manchmal gibt es „den Hauptverdiener“, und häufig genug leben die Eltern voneinander getrennt – jeder verdient dann für sich selber. Nach Auffassung von Experten würde hier eine Benachteiligung von Ehe und Familie eintreten (Art. 6 GG), wenn man als Gesamteinkommen das von zwei Eheleuten „gemeinsam“ rechnet, aber bei Geschiedenen das jeweilige Einkommen getrennt prüft. Umgekehrt würde man doch auch nicht das gesamte Einkommen aller Kinder heranziehen bei einem mittellosen Elternteil (vgl. dazu auch Schoch in LPK-SGB XII, 8. Auflage, S. 352, Rz. 9; und auch BSG-Urteil vom 25.4.2013, Az. B 8 SO 21/11 R, Rz. 22).

Am 25.4.2013 befand zum Beispiel das Bundessozialgericht, dass mit dem „Gesamt“ nicht das gemeinsame Gesamteinkommen der Unterhaltspflichtigen gemeint ist, sondern das Gesamteinkommen jeder einzelnen Person, die (möglicherweise) zum Unterhalt verpflichtet wäre: „Ein Anspruch auf Leistungen der Grundsicherung scheidet wegen der Inanspruchnahme unterhaltspflichtiger Eltern nicht schon aus, wenn beide Eltern zusammen über ein jährliches Gesamteinkommen von 100 000 Euro verfügen, sondern erst, wenn dies für mindestens einen Elternteil zutrifft.“ (1. Leitsatz vom BSG-Urteil, Az. B 8 SO 21/11 R). Wenn eine Person ein Einkommen aus mehreren Einkunftsarten erzielt (z.B. das Honorar, das Arbeitseinkommen und Gewinne aus einem Gewerbe), handelt es sich bei der Summe daraus um das Gesamteinkommen.
„Der Unterhaltsanspruch eines Kindes richtet sich nicht gegen ´die Eltern´ zusammen, sondern immer gegen den einzelnen Elternteil, abhängig von dessen eigener Leistungsfähigkeit“ (Rz. 22).

Darüber hinaus stellte das BSG die ursprüngliche Absicht des Gesetzgebers bei Einführung des Grundsicherung-Gesetzes fest: „Im Gesetzgebungsverfahren war zunächst vorgesehen, nach § 91 Abs 1 Bundessozialhilfegesetz (BSHG) einen Abs 1a einzufügen, der bei Leistungen der Grundsicherung einen vollständigen Verzicht auf die Berücksichtigung von Unterhaltsansprüchen regeln sollte (BT-Drucks 14/4595, S 30 und 72, jeweils zu § 91 BSHG). Dies änderte sich zunächst nicht mit der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung, die für Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung die Einführung des GSiG vorsah (BT-Drucks 14/5146, S 153; BT-Drucks 14/5150, S 49 zu § 2 Abs 1 GSiG). Der vollkommene Verzicht auf die Inanspruchnahme Unterhaltspflichtiger wurde erst im Vermittlungsausschuss dadurch eingeschränkt, dass beim Einkommen der Eltern bzw Kinder von über 100 000 Euro kein Anspruch auf Grundsicherung bestehen sollte (vgl zur Gesetzgebungsgeschichte Schoch in LPK-GSiG § 2 RdNr 5 bis 11, 54). Damit sollte (nur) gewährleistet werden, dass hohe Einkommen (gemeint: des Einzelnen) nicht vom Unterhaltsrückgriff befreit werden (Plenarprotokoll 14/168, S 16430).“ (a.a.O., Rz. 23).

Nochmal: zur Prüfung herangezogen wird das gesamte Einkommen einer jeden Einzelperson, keinesfalls das gemeinsame Einkommen des Elternpaares (oder aller Kinder bei kinderreichen, aber mittellosen Eltern).

Dass es die Eltern überhaupt treffen kann, hat, wie gesagt, mit dem bürgerlichen Rechtsanspruch auf Unterhalt durch die Angehörigen des ersten Grads zu tun (§ 1601 BGB), wenn kein Zusammenleben von Eltern und Kind in einem gemeinsamen Haushalt stattfindet. Weil es sich um einen einklagbaren Anspruch handelt, kann bei Vorliegen einer entsprechenden Bedürftigkeit (§ 1602 BGB) ein Unterhalt verlangt werden. Da die Sozialhilfe nachrangig ist, aber im Falle einer Notlage zunächst im vollen Umfang eintritt, kann sich der leistende Sozialhilfeträger von den Unterhaltsverpflichteten die Kosten erstatten lassen (§ 94 Abs. 1 SGB XII).

In welchem Umfang die Erstattung tatsächlich ausfallen wird, hat wiederum mit der Leistungsfähigkeit der Unterhaltsverpflichteten zu tun (§ 1603 BGB). Diese Leistungsfähigkeit beschränkt sich dabei nicht nur auf die Summe aller Einkünfte, vielmehr muss auch ein ausreichender „Mindestselbstbehalt“ bedacht werden, der bei steigendem Einkommen ebenfalls steigend ist. Im Falle von zusammenlebenden Eltern muss von daher auch die Bedarfsdeckung des Ehepartners bedacht werden. Bei getrennt lebenden Eltern wiederum wird ein solcher Unterhaltsanspruch von Ehepartnern dagegen nur bis zur Höhe von Sozialhilfeleistungen bemessen (an dieser Stelle käme wohl auch die „Düsseldorfer Tabelle“ ins Spiel). Benötigen Unterhaltspflichtige selbst Sozialleistungen für den Lebensunterhalt (z.B. Hartz-4), ist eine Leistungsfähigkeit grundsätzlich nicht anzunehmen. Und wenn durch den Unterhalt eine Hilfebedürftigkeit entsteht, ist der Erstattungsanspruch bis zu der Eintrittsgrenze gedeckelt (§ 94 Abs. 3 SGB XII; „unbillige Härte“ und vgl. dazu den Tipp „Mindestselbstbehalt“ in Jäger und Thomé, S. 364).


Ist das zu versteuernde Jahreseinkommen das Gesamteinkommen?

Mit der „Summe der Einkünfte“ aus dem § 16 SGB IV ist nicht der Begriff des „zu versteuernden Einkommens“  aus § 2 Abs. 5 EStG gemeint.

Nach § 2 Abs. 2 EStG sind Einkünfte (1.) bei Land- und Forstwirtschaft, Gewerbebetrieb und selbständiger Arbeit der Gewinn, und (2.) bei den anderen Einkunftsarten der Überschuss der Einnahmen über die Werbungskosten. Da es insgesamt sieben Einkunftsarten gibt, ist für jede eine gesonderte Bestimmung vorzunehmen (vgl. § 2 Abs. 1 EStG).

Werbungskosten müssen berücksichtigt werden, da Bruttoeinnahmen nur aufgrund der Einwerbung und des Produkt / Waren / Dienstleistungs-Angebotes erzielt werden können. Man kann auch von einem unauflöslichen Zusammenhang sprechen, der zuletzt im besten Fall einen Gewinn oder Überschuss einbringt, damit eine Leistungsfähigkeit begründet ist.

Nun ist es aber so, dass nicht jeder Aufwand, Ausgabe oder ein Verlust berücksichtigt werden kann für die Bestimmung eines Gesamteinkommens. In einem BSG-Urteil vom 25.8.2004 (Az. B 12 KR 36/03 R) wurde genau dies betont, sogar mit dem Hinweis: „Eine noch weitergehende Berücksichtigung das Gesamteinkommen mindernder Aufwendungen und Ausgaben hält der Senat dagegen nicht für verfassungsrechtlich geboten (vgl BSG SozR 3-2500 § 10 Nr 21 S 102 zur Nichtberücksichtigung der Zahl der Kinder bzw der Freibeträge beim Ausschluss aus der Familienversicherung).“ Und: „Erst recht liegt kein Verstoß gegen Art 3 Abs 1 iVm Art 6 Abs 1 GG vor, soweit aus den oben genannten Gründen [familiäre Belastungen, eig. Anmerkung] nicht sämtliche steuerlich relevanten Freibeträge auch bei der Bestimmung des Gesamteinkommens berücksichtigt werden.“ – das BSG bestätigte übrigens an dieser Stelle, dass mit dem Gesamteinkommen im Sinne des § 16 SGB IV das gleiche gemeint ist wie in § 10 Abs. 3 SGB V

Umgekehrt ist aber auch nicht jede Einnahme hinzuzunehmen für die Bestimmung des Gesamteinkommens. In seiner Begründung zu einem Verfahren vom 25.4.2013 (Az. B 8 SO 21/11 R, Rz. 20) sagte das BSG: „Mit dem in Halbsatz 1 enthaltenen Verweis auf das Steuerrecht werden diejenigen Einkünfte in Bezug genommen, die der Steuerpflicht unterliegen, sodass z.B. Steuerfreibeträge oder Werbungskosten abzuziehen sind (BSGE 91, 83 ff RdNr 7 ff = SozR 4-2500 § 10 Nr. 2).“ Von den Werbungskosten (oder den Steuerfreibeträgen) mal abgesehen, stellt das BSG heraus, dass nur Einkünfte zu berücksichtigen sind, die der Steuerpflicht unterliegen; Einkünfte nach §§ 3 und 3b EStG unterliegen nicht der Steuerpflicht und wären somit nicht zu berücksichtigen.

Wiederum eingerechnet werden dagegen Abfindungen (BSG-Urteil vom 25.1.2006, Az. B 12 KR 2/05 betreffend monatliche Beträge).

Grundsätzlich sind also die Einnahmen um die Aufwendungen zu kürzen, die im engen Zusammenhang stehen mit der Erzielung der Einnahmen. Die sich daraus ergebenden Einkünfte müssen allerdings nach dem Willen des Gesetzgebers bei der Verwendung in einer „außersteuerlichen Rechtsnorm“, wie sie das SGB IV bzw. das SGB V darstellen, um bestimmte Größen korrigiert werden (§ 2 Abs. 5a EStG). Zu diesen bestimmten Größen zählen der gesonderte Steuertarif für Kapitalerträge (§§ 32d Abs. 1, 43 Abs. 5 EStG), Ergebnisse aus einem Teileinkünfteverfahren (§§ 3 Nr. 40, 3c Abs. 2 EStG) sowie abziehbare Kinderbetreuungskosten (§ 10 Abs. 1 Nr. 5 EStG). 

Ein zu versteuerndes Einkommen erhält man, wenn ganz andere Beträge hinzugenommen werden oder sogar ein Verlust geltend gemacht wird. Es geht jedoch um die Leistungsfähigkeit, die für einen Unterhalt maßgeblich ist. Von daher können „Persönliche Steuern, Sozialversicherungsabgaben, Unterhaltspflichten und sonstige sozialhilferechtlich oder unterhaltsrechtlich anzuerkennende Aufwendungen“ nicht berücksichtigt werden (Rz. 224, Empfehlungen des Deutschen Vereins zur Heranziehung von Unterhaltspflichtiger in der Sozialhilfe, SGB XII).


Muss ein Vermögen zum Unterhalt verwendet werden?

In § 10 Abs. 3 SGB V ist keine Rede von einem Vermögen, sondern man spricht dort lediglich von dem Gesamteinkommen. In § 43 Abs. 5 SGB XII steht etwas zu einer „Jahreseinkommensgrenze“ (Einkommens-Obergrenze), aber kein Wort zur Verwendung eines Vermögens. Von daher lautet die Antwort an dieser Stelle: Nein (dazu auch Rz. 226, Empfehlungen des Deutschen Vereins zur Heranziehung von Unterhaltspflichtiger in der Sozialhilfe, SGB XII).


Was ist mit dieser Vermutung eigentlich gemeint?

Bei dieser Sache mit der Vermutung wird das Verfahren ein wenig vereinfacht, weil der zuständige Leistungsträger lediglich etwas „vermuten“ muss basierend auf den bekannten Fakten im Zusammenhang mit der Antragsstellung. Es muss nicht groß ermittelt werden. Ein absolutes Wissen über alles wird nicht benötigt.

Im SGB XII finden sich mehrere Stellen, in denen ausdrücklich der Begriff der Vermutung verwendet wird (z.B. § 39, Vermutung der Bedarfsdeckung; § 43 Abs. 3, Einkommensüberschreitung; § 94 Abs. 2, Unterhaltsanspruch-Übergang).

Das Besondere an der Vermutungsregel in § 43 Abs. 3 SGB XII ist, dass man seitens des Leistungsträgers annimmt, die Einkommensgrenze von 100.000 Euro (Obergrenze) wird „nicht überschritten“. Erst wenn es Anhaltspunkte dafür gibt, dass dem nicht so ist (z.B. das Tragen einer Rollex, Herumfahren mit dem Porsche), können von der antragstellenden Person Angaben verlangt werden, die einen Rückschluss erlauben auf die Einkommensverhältnisse der Angehörigen. Diese Angaben müssten natürlich weiter konkretisiert werden, damit ein Einkommen errechnet werden kann. Ein Antragsteller wäre jedenfalls zur Mitwirkung verpflichtet (§ 60 SGB I), und diese Mitwirkungspflicht erstreckt sich somit auch auf die Dritten.

An dieser Stelle ist es wichtig zu wissen, dass „hinreichende Anhaltspunkte für ein Überschreiten“ der Einkommensgrenze vorliegen müssen (§ 43 Abs. 3 S. 5 SGB XII), damit eine Entscheidung hinsichtlich des Leistungsanspruchs gefällt werden kann vom Leistungsträger (S. 3). Verweigern sich die Angehörigen, findet keine Mitwirkung statt, müsste ja dennoch der Antragsteller Hilfeleistungen erhalten. Für den Sozialhilfeträger besteht nach wie vor die Pflicht zur Hilfestellung.

Weil aber nach § 94 Abs. 1 SGB XII der Unterhaltsanspruch einer leistungsberechtigten Person (leistungsberechtigt, weil in einer Notlage sich befindlich) auf den Sozialhilfeträger übergeht, kann ein Träger von Sozialhilfeleistungen diesen Rechtsanspruch gegen einen möglichen Unterhaltspflichtigen durchsetzen und Entschädigungsleistungen einklagen (vgl. auch Abs. 5; Rz. 11 und Rz. 64 ff., Empfehlungen des Deutschen Vereins zur Heranziehung von Unterhaltspflichtiger in der Sozialhilfe, SGB XII ).

Das LSG Niedersachsen-Bremen erkannte jedenfalls den Sinn dieser Vermutungs-Regelung darin, dass für die Verwaltung eine „Handhabe … zur Verfügung [gestellt wird], um in offensichtlichen Fällen von sehr hohen Einkommen nicht auf Kosten des Steuerzahlers eine ungerechtfertigte Sozialleistung erbringen zu müssen (vgl. Schoch, in: LPK- GSiG, § 2, Rdnr 54).“ (Urteil vom 28.07.2011, Az. L 8 SO 10/09; siehe auch Notizen weiter unten)

Nichtsdestotrotz muss aber etwas Offensichtliches vorliegen, was die Behörde dann zu der Vermutung führt, der geltend gemachte Bedarf sei unbegründet.

… Teil 4




Quellen:

Bundessozialgericht, Urteil vom 25.4.2013, Az. B 8 SO 21/11 R

Bundessozialgericht, Urteil vom25.8.2004, Urteil vom B 12 KR 36/03 R

Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen Urteil vom 28.07.2011, Az. L 8 SO 10/09

Lexikonbeitrag aus Haufe SGB Office Professional
Autor: Norbert Finkenbusch

GKV-Spitzenverband
Grundsätzlich Hinweise
Gesamteinkommen im Rahmen der Prüfung der Voraussetzungen der Familienversicherung
Vom 12.6.2019

AG TUWas
Leitfaden Sozialhilfe für Menschen mit Behinderung und bei Pflegebedürftigkeit von A – Z
Stand 1.11.2011
ISBN: 978-3-932246-82-1
Bezugsmöglichkeit: Digitaler Vervielfältigungs- und Verlags-Service (DVS)

Frank Jäger und Harald Thomé
Leitfaden Alg II / Sozialhilfe von A – Z
Ausgabe 2011/2012
Stand 1.6.2011
ISBN: 978-3-932246-81-4
Bezugsmöglichkeit: Digitaler Vervielfältigungs- und Verlags-Service (DVS)

Empfehlungen des Deutschen Vereins zur Heranziehung von Unterhaltspflichtiger in der Sozialhilfe (SGB XII)
Veröffentlicht am 12.3.2014
Bezug über Tacheles e.V. (https://tacheles-sozialhilfe.de)



Notizen:

Am 25.8.2004 erklärte das BSG: „Einkünfte sind nach § 2 Abs 2 EStG bei Land- und Forstwirtschaft, Gewerbebetrieb und selbstständiger Arbeit der Gewinn, bei den übrigen Einkunftsarten der Überschuss der Einnahmen über die Werbungskosten iS von §§ 8 bis 9a EStG. Auf diesen Begriff der Einkünfte iS des § 2 Abs 2 EStG wird in § 16 Halbsatz 1 SGB IV Bezug genommen. Zur Summe der Einkünfte iS des Einkommensteuerrechts und damit zum Gesamteinkommen zählen somit ua die Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit, bei deren Ermittlung Werbungskosten (§§ 8 bis 9a EStG) abzuziehen sind, sowie die Einkünfte aus Kapitalvermögen, bei deren Ermittlung der Sparer-Freibetrag abzuziehen ist (§ 2 Abs 1 Satz 1 Nr 5, § 20 Abs 4 EStG; vgl BSG SozR 3-2500 § 10 Nr 19 S 78 sowie BSGE 91, 83, 85 = SozR 4-2500 § 10 Nr 2).“ (Az. B 12 KR 36/03 R)

In seiner Begründung ging das BSG sogar so weit und erklärte, wie man auf das „zu versteuernde Einkommen“ kommt – allerdings natürlich basierend auf der damaliger Rechtsgrundlage: „Diese Abzugsposten sind nur für den Gesamtbetrag der Einkünfte, das Einkommen und das zu versteuernde Einkommen bedeutsam. Der Gesamtbetrag der Einkünfte ergibt sich, wenn von der Summe der Einkünfte iS des § 2 Abs 2 EStG (entspricht dem Gesamteinkommen) der Altersentlastungsbetrag, der Entlastungsbetrag für Alleinerziehende oder Abzüge nach § 13 Abs 3 EStG abgezogen werden (§ 2 Abs 3 EStG). Das Einkommen des Steuerpflichtigen ergibt sich, wenn vom Gesamtbetrag der Einkünfte weiter Sonderausgaben und außergewöhnliche Belastungen abgezogen werden (§ 2 Abs 4 EStG). Wird das Einkommen schließlich um Kinderfreibeträge nach § 32 Abs 6 EStG oder sonstige vom Einkommen abzuziehende Beträge vermindert, erhält man das zu versteuernde Einkommen (§ 2 Abs 5 Satz 1 EStG).“ – Wichtiger Punkt ist also, dass das Gesamteinkommen der Summe der Einkünfte aus § 2 Abs. 2 EStG entspricht.

Das BSG stellte zudem fest, dass das vorinstanzliche Sozialgericht „… es zu Recht abgelehnt [hat], zur Ermittlung des Gesamteinkommens von den Einkünften der Klägerin oder ihres Ehemannes Sonderausgaben, außergewöhnliche Belastungen (§ 33 EStG), Kinderfreibeträge (§ 32 Abs 6 EStG) und Haushaltsfreibeträge (früher § 32 Abs 7 EStG) abzuziehen. Denn zur Bestimmung des Gesamteinkommens nehmen § 16 SGB IV und § 10 Abs 3 SGB V nicht auf das zu versteuernde Einkommen iS des § 2 Abs 5 Satz 1 EStG, nicht auf das Einkommen iS des § 2 Abs 4 EStG und auch nicht auf den Gesamtbetrag der Einkünfte iS des § 2 Abs 3 EStG Bezug. Anknüpfungspunkt ist vielmehr die Summe der Einkünfte vor Abzug der in § 2 Abs 3 bis 5 EStG genannten Abzugsposten.“
Auch wenn es hier um den Begriff des Gesamteinkommens aus § 10 Abs. 3 SGB V ging, das BSG sah darin keinen Unterschied zu dem Begriff des Gesamteinkommens aus § 16 SGB IV. Und dementsprechend ist mit dem Bezug auf die Summe der Einkünfte somit der Gewinn bzw. der Überschuss der Einnahmen über die Werbungskosten als Einkommen zu verstehen; oder anders gesagt: Die Einnahmen sind um die Aufwendungen zu kürzen, die im engen Zusammenhang stehen mit der Erzielung der Einnahmen (vgl. § 2 Abs. 2 EStG).

Zu beanstanden ist übrigens, dass das Sozialrecht dem Begriff des Einkommens eine ganz andere Bedeutung vergibt, also nicht so, wie im Einkommenssteuerrecht (vgl. dazu Schoch in LPK-SGB XII, 8. Auflage, S. 352).


§ 43 Abs. 2 SGB XII i.d.F. vom 1.1.2011

(2) Unterhaltsansprüche der Leistungsberechtigten gegenüber ihren Kindern und Eltern bleiben unberücksichtigt, sofern deren jährliches Gesamteinkommen im Sinne des § 16 des Vierten Buches unter einem Betrag von 100.000 Euro liegt. Es wird vermutet, dass das Einkommen der Unterhaltspflichtigen nach Satz 1 die dort genannte Grenze nicht überschreitet. Zur Widerlegung der Vermutung nach Satz 2 kann der zuständige Träger der Sozialhilfe von den Leistungsberechtigten Angaben verlangen, die Rückschlüsse auf die Einkommensverhältnisse der Unterhaltspflichtigen nach Satz 1 zulassen. Liegen im Einzelfall hinreichende Anhaltspunkte für ein Überschreiten der in Satz 1 genannten Einkommensgrenze vor, sind die Kinder oder Eltern der Leistungsberechtigten gegenüber dem Träger der Sozialhilfe verpflichtet, über ihre Einkommensverhältnisse Auskunft zu geben, soweit die Durchführung dieses Buches es erfordert. Die Pflicht zur Auskunft umfasst die Verpflichtung, auf Verlangen des Trägers der Sozialhilfe Beweisurkunden vorzulegen oder ihrer Vorlage zuzustimmen. Leistungsberechtigte haben keinen Anspruch auf Leistungen der bedarfsorientierten Grundsicherung, wenn die nach Satz 2 geltende Vermutung nach Satz 4 und 5 widerlegt ist.

(Quelle: Buzer.de, ein Service von Daniel Liebig, >> Link <<)


Einkünfte nach dem Steuerrecht (§ 2 Abs. 1 EStG):
·         Land- und Forstwirtschaft         
·         Gewerbebetrieb           
·         selbständiger Arbeit     
·         nichtselbständiger Arbeit          
·         Kapitalvermögen           
·         Vermietung und Verpachtung 
·         sonstige Einkünfte im Sinne des § 22; zum Beispiel: Einkünfte aus wiederkehrenden Bezügen und Entschädigungsleistungen (Nr. 1 und Nr. 4), Leibrenten und andere Leistungen (Nr. 1 S. 3 lit. a), Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften (Nr. 2), Leistungen aus Altersvorsorgeverträgen, Pensionsfonds, Pensionskassen und Direktversicherungen (Nr. 5)


Zum Einkommen einer leistungsbeantragenden Person gehören zuerst einmal „alle Einkünfte in Geld oder in Geldeswert“ (vgl. § 82 Abs. 1 S. 1 SGB XII), was wörtlich zu nehmen ist. In der Verordnung zur Durchführung des § 82 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (BSHG§74DV) heißt es sogar, dass „alle Einnahmen ohne Rücksicht auf ihre Herkunft und Rechtsnatur sowie ohne Rücksicht darauf, ob sie zu den Einkunftsarten im Sinne des Einkommensteuergesetzes gehören und ob sie der Steuerpflicht unterliegen, zugrunde zu legen sind“ (§ 1 BSHG§74DV). Von daher sind auch steuerfreie Einnahmen hinzuzurechnen, nicht aber die zuvor in den Absätzen 2 bis 4 vom § 43 SGB XII genannten Ausnahmen.

Grundsätzlich soll von den monatlichen Bruttoeinnahmen ausgegangen werden. Nach § 82 Abs. 3 S. 2 SGB XII werden „Sonderzuwendungen, Gratifikationen und gleichartige Bezüge und Vorteile, die in größeren als monatlichen Zeitabständen gewährt werden, […] wie einmalige Einnahmen [behandelt]“. Diese Regelung könnte besonders dann relevant sein, wenn ein regelmäßiges Einkommen ermittelt werden soll. Würden solche einmaligen Einnahmen ausgeklammert werden, reduziert sich das einzusetzende Einkommen.

Ausgaben, die mit der Erzielung der Einkünfte zu tun haben, reduzieren ebenfalls das einzusetzende Einkommen. Dies ist ein Grundsatz, der anerkennt, dass die mit dem Einkommen „verbundenen notwendigen Ausgaben“ wie im Steuerrecht als Werbungskosten abzuziehen sind (siehe dazu auch § 3 Abs. 4 BSHG§74DV).




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Unterhaltsrückgriff und die 100 000 Euro-Frage