Sonntag, 2. Juli 2017

Braucht es noch Leistungsbescheide?

In meinem letzten Beitrag hatte ich mich ein wenig über die Leistungsbescheide der Hamburger Sozialbehörde an Menschen mit dem Bedarf an Eingliederungshilfe-Leistungen ausgelassen. Man kann mit diesen allerdings recht wenig anfangen, weil das, was da drin steht, nicht viel aussagt. Was so fehlt, sind Informationen zu den bewilligten Leistungen – was genau erbracht werden soll und in welchem Umfang. Wozu braucht man also diese Leistungsbescheide? Was gibt es sonst noch?

Der Leistungsbescheid gibt zwar Auskunft, von wann bis wann die Behörde gedenkt, die Kosten für die Leistungserbringung zu übernehmen, und auch darüber wie hoch diese Kosten ausfallen dürfen, doch was genau gemacht werden soll, das fehlt. (Und zudem werden diese Bescheide von der Hamburger Sozialbehörde aus datenschutzrechtlichen Gründen nicht an die verschickt, welche eine Hilfeleistung erbringen sollen; das nur am Rande).

Benötigt wird ein Plan zur Förderung des hilfebedürftigen Menschen

Es muss ein Plan aufgestellt werden darüber, was zu tun ist. Und vorher muss man hinterfragen, was benötigt wird. Die Deckung des Bedarfs wird also zum Ziel für die individuelle Hilfebedarfsdeckung.

Ziel soll sein, individuelle Hilfebedarfe zu benennen und Hilfen bereitzustellen. Dies geschieht aus dem Wissen heraus, dass alle Behinderungen und persönlichen Bedarfe auf Teilhabe sehr unterschiedlich ausfallen. Von daher muss sich derjenige, welcher es sich zur Aufgabe gemacht hat, einen hilfebedürftigen Menschen zu helfen, herausfinden, was benötigt wird.

Diese Aufgabe obliegt dem Staat, der dafür wiederum speziell geschulte Fachkräfte beschäftigt. In vielen Publikationen spricht man von „Case Managern“ bzw. Fallmanagern. Das Fallmanagement wird dabei als ein Instrument der Systemsteuerung verstanden, weil es übergreifend eingesetzt werden soll und die angemessene, benötigte Hilfeleistung beschreiben soll. Was von einem Fallmanager ermittelt wird, soll dann in einer Unterlage zusammengefasst werden. Erwarten sollte man, dass zwar die wesentlichsten Aspekte und die verantwortlichen Stellen bzw. die geeignetsten Leistungserbringer darin angegeben werden.

In vielen Bereichen der Sozialhilfe gibt es hierzu sogenannte Leistungsabsprachen (§ 12 SGB XII). Diese sollen sich nach Möglichkeit vor Beginn der Leistungsaufnahme und auf die spezielle Situation der hilfebedürftigen, sich in der Notlage befindlichen Person beziehen. Die Leistungsabsprache ist schriftlich zu erstellen und dient der Dokumentation aller Entscheidungsgründe. Zudem soll ein Plan zur Förderung aufgestellt werden, damit auch ein gewisses Maß an Selbsthilfe angeregt wird. Allerdings fehlt es bei der Leistungsabsprache an der Hinzuziehung weiterer Stellen (vgl. § 58 Abs. 2 SGB XII), was wiederum für Menschen mit einer wesentlichen Behinderung wichtig ist.

Der Leistungsabsprache vor geht dagegen der Gesamtplan (§ 58 SGB XII). Die Behörde, als Herrin des Verfahrens, erstellt diesen „so frühzeitig wie möglich“ (Abs. 1) und erlaubt es dem behinderten Menschen (als Leistungsberechtigten) wie auch die „sonst im Einzelfall Beteiligten“ (Abs. 2) daran mitzuwirken. Letztere sind vornehmlich andere Behörden und Vertreter von diesen, weniger diejenigen, die später die Leistung tatsächlich erbringen müssen; doch es können auf Wunsch des Leistungsberechtigten auch Dritte und Vertrauenspersonen zur Gesamtplankonferenz eingeladen werden.

Weil in diesen beiden Punkten immer von einem frühen Zeitpunkt für die Planerstellung gesprochen wird, vertreten manche in der Behörde sogar die Auffassung, erst mit der Einleitung beginnt die staatliche Leistungspflicht. Es gibt auch die Auffassung, dass erst mit Abschluss oder sogar mit der Unterschrift des Leistungsberechtigten auf der Unterlage die Leistungspflicht beginnt. Und vorher nicht.

Der Gesamtplan als verbindlicher Vertrag für die Leistungserbringung oder Kooperation?

Der Gesamtplan soll ebenfalls zum Ziel haben, die Mitwirkung des Hilfebedürftigen zu „aktivieren“. Man kann sicherlich glauben, dass hier eine Art „Vertrag“ erarbeitet wird, in dem die Bedarfe und die Leistungsversprechen miteinander gekoppelt werden. Dadurch könnte eine Kooperation gelingen, was aber dennoch als sehr abstrakt anzusehen ist.

Was nicht passieren darf, ist eine Verhaltenssteuerung. Weil vielleicht manche bedarfsdeckende Leistungen als „zu teuer“ und „unangemessen“ gelten, kann hier eine Drucksituation während der Gesamtplankonferenz entstehen. Der hilfebedürftige Mensch könnte dann anderen Vorschlägen zustimmen, weil man ihn dazu unterschwellig drängt. Unter Umständen entsteht dann eine die Würde verletzende, nicht wertschätzende Situation für den Menschen in seiner Notlage.

Mit Abschluss einer solchen „Vereinbarung“ überträgt sich sozusagen eine Verbindlichkeit auf die Beteiligten, die dann schnell zu einer unverhältnismäßigen Verhaltenskontrolle führen kann; schließlich hatte man per Unterschrift diesen Gesamtplan-Vertrag angenommen und die Bedingungen akzeptiert, könnte man denken. Von daher könnte ein Dritter beteiligt werden – zum Beispiel derjenige, welcher die Leistung letztlich erbringen soll oder eine Vertrauensperson – damit ein „Behüter des Schutzraums“ über mögliche Forderungs-Gedanken wacht.

Der Gesamtplan ist kein Verwaltungsakt, dem man widersprechen kann

Weder der Gesamtplan noch die Leistungsabsprache mit dem Förderplan stellen Verwaltungsakte dar, gegen die wirksam widersprochen werden kann. Es sind allenfalls erläuternde Unterlagen, die eine voraussetzende Grundlage für den Leistungsbescheid darstellen. Der Leistungsbescheid selber beinhaltet Angaben zum Leistungszeitraum und Kosten der Leistungsübernahme. Häufig genug findet man auch eine Entscheidung darüber, welche Kostenbeteiligung vom Leistungsberechtigten erwartet wird. Und dann natürlich auch, welcher Leistungserbringer beauftragt ist, den Gesamtplan (oder die Leistungsabsprache), vielleicht auch nur in bestimmten Teilen, umzusetzen.

Zusammengefasst handelt es sich hier um rein vertragliche Aspekte, welche in Verbindung stehen mit Vereinbarungen gem. § 75 Abs. 3 SGB XII. Weil diese im Gesamtplan (oder der Leistungsabsprache) fehlen, kann ein Leistungsberechtigter gerichtlich nur eine Überprüfung des Gesamtplans verlangen kann, wenn ein Ermessensfehler vermutet wird (vgl. Bieritz-Harder in LPK-SGB XII, 8. Auflage, Rz. 4 zu § 58 SGB XII).

Damit ein solcher Ermessensfehler nicht unterstellt werden kann, braucht der Leistungsträger eine gute Dokumentation, aus der die Entscheidungsgründe und die Zielsetzungen abgelesen werden können – dies ist auch hilfreich, wenn es hinter den Kulissen um die Kostenbeteiligung anderer „vorrangiger“ Leistungsträger geht. Ist die Dokumentation nicht schlüssig, ergibt sich eine Unklarheit, die angreifbar wäre.

Nun muss man allerdings einräumen, dass für eine solche Überprüfung eine gewisse Kompetenz benötigt wird; ein Fachwissen, mit dem man einen zielführenden Gesamtplan fordern könnte. Ein solches Fachwissen hätte zwar ein Leistungserbringer, doch dafür müsste dieser den Gesamtplan von der Behörde erhalten. Und dies geschieht nur, wenn der Leistungsberechtigte vorab dem zugestimmt hat – per Unterschrift. In der Praxis wird diese „bürokratische Hürde“ auch mal nicht beachtet, weil man sich einig darüber ist, dass die Inhalte nur vorläufig sind. 

Was im Gesamtplan weiterhin enthalten sein sollte, ist eine Bestimmung des mengenmäßigen Leistungsbedarfs – oder mit anderen Worten: wie viele Betreuungs- und sonstige Leistungsstunden bewilligt werden. Das findet man allerdings nicht, weil nicht die Leistungsmenge im Vordergrund steht, sondern die effektive Hilfebedarfsdeckung.

Was man stattdessen finden sollte, ist ein Intensitäts-Grad der Leistungserbringung oder welches Ziel vorrangig zu erreichen ist. Mit diesem Gradmesser sind nicht Untersuchungsbefunde, medizinische Diagnosen und Teilhabemöglichkeiten gemeint. Es soll vielmehr ein sogenanntes „Assessments der Situations- und Bedarfsanalyse“ vorliegen, in dem konkrete Arbeitsschwerpunkte und Ziele benannt werden. Häufig bedient man sich bestimmter Systematiken (z.B. Metzler-Verfahren), in denen verschiedene Fragestellungen (sog. Items) mit Punkten bewertet werden – frei nach dem Motto: je mehr Punkte, umso höher der Intensitäts-Grad, umso höher die Hilfebedarfsgruppe bzw. Leistungsstufe.

Braucht es dann noch Leistungsbescheide?

Man könnte nun sagen, dass der Gesamtplan damit den Leistungsbescheid obsolet macht. Doch es muss beide Unterlagen geben, weil sonst die Gefahr der effektiven Leistungsverweigerung aus Kostengründen entsteht. Im Gesamtplan enthalten sind die Hilfearten und die Leistungsmengen (verklausuliert als Punkte), im Leistungsbescheid stehen dagegen die Kosten der Maßnahmen. Wäre beides in einem Dokument, könnte schnell der Verdacht aufkommen, Leistungen und Bedarfe sind „geschönt“ worden, damit es nicht so viel kostet.

Der Fallmanager kann basierend auf den erarbeiteten Schwerpunkten der Hilfebedarfe und somit auch unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Einzelfalls eine passende Ressource bzw. ein entsprechendes Leistungsangebot ausfindig machen. Noch bis zu dieser Stelle im Verfahren dreht sich alles um die Deckung des Hilfebedarfs, es geht nicht um die Kosten. Und ab jetzt, weil Umfeld und Angebot stimmen, Zugänglichkeiten und Barrierefreiheit gegeben sind, und weil ein freier Platz vorhanden ist, erfolgt die Auswahl des möglichen Leistungserbringers. Dann vollzieht sich der Verwaltungsakt und es wird ein Leistungsbescheid mit Nennung des jeweiligen Leistungserbringers, der Kosten und des Zeitraums versendet – am Ende mit der obligatorischen Rechtsbehelfsbelehrung.

Der Gesamtplan kann sich inhaltlich und in Bezug auf seine Ziele jederzeit ändern. Gerade wenn ein Teil-Ziel erreicht worden ist, entfällt der Grund für die Leistungserbringung in diesem Aspekt. Damit aber dann das übergeordnete Ziel nicht gefährdet wird, braucht es einen weiterhin gültigen und bestehenden Leistungsbescheid. Auch wenn dieser Klauseln erhält, welche die Bestandskraft „automatisch“ außer Kraft setzen, im Leistungsbescheid fehlt es an konkrete genannten Zielen und Aufgaben. Vielmehr muss es dann eine neue Gesamtplankonferenz geben, die dann zu einem neuen Leistungsbescheid führen würde.

Das System Gesamtplan und Leistungsbescheid hilft. Es handelt sich zudem um ein Verfahren, dass auch in anderen Problemstellungen so zur Anwendung kommt.

CGS






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