Dienstag, 25. Februar 2020

Weitere Notizen zum Thema Schulbegleitung

Aufgrund eines BSG-Urteils vom 6.12.2018 gab es kürzlich eine Diskussion über die Bindungswirkung für den Träger der Eingliederungshilfe, bei einem Gutachten über den sonderpädagogischen Förderbedarf. Verantwortlich für das Gutachten ist die Schulverwaltung. Aber wie es zustande kommen kann, das sollte man sich noch einmal vergegenwärtigen. Immerhin wird in dem Gutachten das Potential für eine angemessene Schulbildung bestimmt.

Wichtig ist allerdings, dass die Wünsche der leistungsberechtigten Person bzw. der eigentliche Sinn und Zweck einer begehrten Leistung im Antrag für die Eingliederungshilfe gut formuliert ist. Oder anders gesagt: Es muss klar bestimmt werden, welche Ziele mit den gewünschten Leistungen verfolgt werden.

Aber es geht noch weiter. Die Leistungen könnten zeitlich befristet sein; man sieht sich womöglich mit dem Wirtschaftlichkeitsgebot konfrontiert. Auch sowas muss man kennen, um dem begegnen zu können. Denn wie sich erst neulich in einem Artikel zeigte, scheint im Hintergrund wieder eine Politik verfolgt zu werden, die auf die Einhaltung von Budgetvorgaben abzielt und nicht so sehr auf das hehre Ziel einer inklusiven Bildungslandschaft.


Gleiches Recht für alle auf Bildung – das ist der Regelfall

In Deutschland gibt es die Besonderheit, dass Kinder die Pflicht haben, eine Schule zu besuchen. Näheres dazu bestimmt das jeweilige Schulgesetz in einem Bundesland. Diese Gesetze müssen jedoch alle in Einklang stehen mit höheren Rechten, wie die UN-Kinderrechtskonvention (die noch in das bundesdeutsche Grundgesetz übernommen werden soll) und die UN-Behindertenrechtskonvention (dazu aber Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG, eingefügt am 27.10.1994: (3) Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.)

Es gibt in Deutschland zudem die Empfehlung, dass behinderte Kinder eine Förderschule bzw. Förderzentrum besuchen sollen. Doch das ist lediglich eine Empfehlung, der man nicht folgen muss. Entscheiden sich Eltern dazu, dass ihr Kind eine Regelschule besuchen soll, ist diese Form der gelebten Inklusion der Regelfall und es muss ein Nachteilsausgleich dem Kind zugute kommen.

Wenn die Eltern dagegen die Beschulung in einer besonderen Schulform wünschen, würden sie ein Gutachten benötigen von der Schulverwaltung. Es muss also der Anspruch des Kindes zuerst einmal ermittelt und festgestellt werden (vgl. dazu auch Hessisches Landessozialgericht 26.4.2012, L 4 SO 297/11 B ER, Rn. 28).

Die Schulverwaltung erarbeitet dann einen sonderpädagogischen Förderplan mit dem der Unterstützungsbedarf bestimmt werden kann. Übergeordnetes Ziel soll nämlich sein, dass mit dem Förderplan ein Nachteils- und Behinderungsausgleich entwickelt wird, damit das Kind sein Recht auf eine angemessene Schulbildung (Pflicht zum Schulbesuch) erfüllen kann. Wenn der Schulträger diesen Ausgleich nicht ermöglichen kann, müssen Hilfen zu einer angemessenen Schulbildung über die Eingliederungshilfe eingeholt werden (bis 2019: § 54 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB XII in Verbindung mit § 12 Nr. 1 Eingliederungshilfe-VO; ab 1.1.2020: § 99, § 112 Abs. 1 SGB IX n.F.). Der Förderplan dient dazu als eine wesentliche Entscheidungsgrundlage, wobei es nicht auf persönliche Details ankommt, sondern auf die benötigten Hilfen zum Erreichen einer angemessenen Schulbildung. In der Regel ergeht ein simpler Fragebogen an den Schulträger, in dem genau diese Hilfen genannt werden.

Träger der Eingliederungshilfe können nicht verlangen, dass ein Gutachten erstellt wird (sie haben hier keine Prärogative). Sie müssen auf der Grundlage ihrer eigenen Gesetze den Antrag der Eltern und des Kindes auf Hilfen zu einer angemessenen Schulbildung prüfen und dafür brauchen sie Begründungen – mit solchen Beweismitteln ist der Ermessensspielraum eingeengt. Ein Gutachten könnte somit helfen, das Ermessen zu steuern, doch einen Rechtsanspruch auf Hilfen ergibt sich daraus nicht zwangsläufig. Es ist in jedem Fall hilfreich, wenn die Schulverwaltung die Möglichkeit des Erreichens einer angemessenen Schulbildung bejaht und gleichzeitig herausstellt, welche Hilfen dafür benötigt werden (vgl. BSG-Urteil vom 23.2.2012, B 8 SO 30/10 R, Rn. 25, und im Hinblick auf die Geltung für die Jugendhilfe Bayerisches VGH, Beschluss vom 18.2.2013, Az. 12 CE 12.2104).


Abgrenzung von Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft

In einer Offenen Ganztagsschule (OGS) kann zweierlei möglich sein, stellte das BSG vor einiger Zeit in einem Urteil fest. Ein solches „außerunterrichtliches schulisches Angebot kann eine Integrationshilfe zur Erlangung einer angemessenen Schulbildung im Rahmen der Eingliederungshilfe sein“, es kann aber auch eine private Beschäftigungs- und Spielzeit darstellen (BSG-Urteil vom 6.12.2018, Az. B 8 SO 7/17 R). Entscheidend dafür sind die Ziele, die in der OGS verfolgt werden.

Bei den Leistungen zur Teilhabe an Bildung (§ 5 Nr. 4 SGB IX) kommt es sehr darauf an, ob der OGS ein „pädagogisches Konzept“ zugrunde liegt, damit ein positiver Einfluss auf den Schulerfolg gewährleistet ist. Mithilfe dieser Ausrichtung würde der Schulerfolg für das Kind anzunehmen sein, so dass entsprechende Hilfe durch den Leistungsträger der Eingliederungshilfe übernommen werden müssen (vgl. dazu § 112 Abs. 1 S. 2 SGB IX). In seiner Pressmitteilung sagte das BSG:

„Liegen diese insbesondere in der Unterstützung, Erleichterung oder Ergänzung der Schulbildung, ist auch der zur Unterstützung des behinderten Kindes hierfür erforderliche Integrationshelfer eine Hilfe zur angemessenen Schulbildung, wenn sie diese zumindest erleichtert. Will das Nachmittagsangebot jedoch etwa durch gemeinsames Spielen lediglich die Zeit überbrücken, bis die Eltern sich wieder ihrer Kinder annehmen, hat es allenfalls mittelbar eine positive Auswirkung auf die Schulbildung im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht. In diesem Fall kommt nur eine Hilfe zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft in Betracht.“ (Pressemitteilung Nr. 52 vom 6.12.2018; und § 5 Nr. 5 SGB IX)

Es kommt also sehr darauf an, welche Ziele mit der OGS verfolgt werden. In vielen Fällen geht es sicherlich nur darum, dass das Kind einfach nur betreut ist in einer Umgebung, die es kennt. Gerade bei behinderten Menschen ist die soziale Teilhabe sehr essentiell, so dass jedes Angebot an Betreuung gerne wahrgenommen wird. Doch das sind dann keine Unterstützungsleistungen mit dem Ziel des Erreichens einer angemessenen Schulbildung. Werden Leistungen der Eingliederungshilfe beantragt, muss absolute Klarheit darüber bestehen, was genau und mit welchem Ziel gesucht wird.


Leistungen zur Teilhabe an Bildung könnten zeitlich befristet sein?

Im Falle eines „verlangsamten Kindes“ findet ebenfalls eine Entwicklung statt; kein Stillstand, wie man es gerne unterstellen möchte, um Kosten zu sparen, sondern eine Entfaltung und Reife in seiner eigenen Geschwindigkeit (dazu passend folgender Beitrag auf Deutschland-Funk: „Unser Umfeld beeinflusst, wie intelligent wir sind“ von Armin Nassehi, Soziologe an der Ludwig-Maximilians-Universität München; Link).

Wenn die „übliche“ Zeit zum Maßstab genommen wird, in der eine Allgemeine Schulbildung in „angemessener Weise“ erworben werden kann, kommt dieser Frage eine sehr große Bedeutung zu. Beschränken sich die unterstützenden Maßnahmen nur auf die Vollzeitschulpflicht, ist ein „vorzeitiges“ Verlassen wahrscheinlich. Nicht mehr die mögliche Erlangung eines Schulabschlusses würde im Vordergrund stehen, sondern eine vorab festgelegte Anzahl Schulbesuchsjahre. Wären diese Zeiten verbraucht, würde der weitere Schulbesuch nicht mehr angemessen und demzufolge wirtschaftlich nicht mehr vertretbar sein (Mehrkostenvorbehalt). 

In einem Urteil aus dem Jahr 2001 befand nun ein Verwaltungsgerichtshof (Bayern), dass das Erreichen von Lernzielen einer Jahrgangsstufe wesentlich ist (siehe Quelle unten). Es wurde weiter geprüft, ob dieses Erreichen nur mit Hilfe der außerschulischen Fördermaßnahme, d.h. die während der Schulzeit zu betreuende pädagogische Hilfskraft, möglich ist. Weil dies der Fall war, die regionale Förderschule jedoch ebenfalls eine angemessene Schulbildung ermöglichte und hierzu keine Gegenrede seitens der klagenden Leistungsberechtigten eingebracht wurde, befand das Gericht, dass der Nachrang der Sozialhilfe zu beachten wäre. Die Kostenübernahme durch den Sozialhilfe-Träger sei somit nicht mehr erforderlich.

Dem steht die oben genannte BSG-Entscheidung entgegen. Wenn zum Beispiel einer OGS ein pädagogisches Konzept zugrunde liegt und ein positiver Schulerfolg zum Ziel erklärt bzw. dieses Ziel individuell angestrebt wird, spricht nichts mehr gegen Leistungen zur Teilhabe an Bildung.

Damit ist diese Frage allerdings nicht endgültig geklärt. Man kann diese Frage nämlich noch sehr viel ausführlicher verfolgen, was aber jetzt den Rahmen sprengen würde. In Schleswig-Holstein gab es in den letzten Jahren eigentlich ein Trend zu einer stärkeren Inklusion von behinderten Kindern in den Regelschulen. Doch in den Medien wird ein Schulpolitiker der Opposition zitiert mit der Feststellung: „Erstmals seit Jahren sei die Zahl der Schüler an Förderzentren im Schuljahr 2018/2019 gestiegen“ (siehe dazu SHZ vom 8.2.2020, A. Beig Verlag: „Streit um Inklusionspolitik“). Man könnte nun befürchten, so die Person, über die berichtet wird, dass der „Konsens zu Inklusion von 2014 aufgekündigt“ worden ist.

CGS





Quellen:


Eigener Beitrag vom 14.5.2018

Eigener Beitrag vom 28.7.2018

VGH Bayern, Az. 12 B 98.2022, Urteil vom 14.5.2001
Anspruch auf Kostenübernahme wegen Besuchs einer Regelschule

Notizen:

1.
In Schleswig-Holstein findet in der Gemeinschaftsschule ein sogenannter „binnendifferenzierter“ Unterricht statt (vgl. § 43 Abs. 1 S. 2 SchulG-SH). Den ESA können die Schüler mit der Versetzung in die zehnte Jahrgangsstufe oder durch Teilnahme an einer Prüfung in der neunten Jahrgangsstufe erlangen (Abs. 2). Doch darüber hinaus ist ab der Jahrgangsstufe acht der Besuch einer „flexiblen Übergangsphase“ möglich, so dass die Schüler in drei Jahren auf den ESA vorbereitet werden können (Abs. 3). Damit kann sich die Anzahl der Schulbesuchsjahre bis zum ESA ab der Grundschule auf 6 Jahre erweitern.

Für die Grundschulzeit hat das Bundesland Schleswig-Holstein eine Eingangsphase von zwei Jahren bestimmt, die aber je nach Lernentwicklung eines Schülers oder Schülerin auf ein Jahr verkürzt oder auf drei Jahre verlängert werden kann (vgl. § 41 Abs. 2 SchulG-SH). Wenn diese Besonderheit mit zu berücksichtigen wäre, ergibt sich eine neue „übliche“ Schulbesuchszeit von maximal 11 Jahren (d.h. 5 Jahre Grundschule + 6 Jahre Sekundarstufe 1).

Dagegen beträgt die Dauer der (Vollzeit-) Schulpflicht insgesamt nur 9 Jahre (vgl. § 20 Abs. 2 Ziff. 1 SchulG-SH).

Die Vollzeitschulpflicht beginnt in der Regel im Alter von 6 Jahren (vgl. § 22 Abs. 1 SchulG-SH). Mit Verlassen der allgemeinen Schule beginnt die Berufsschulpflicht (vgl. § 23 Abs. 1 SchulG-SH).

2.
Leistungen richten sich nach den Besonderheiten des Einzelfalls. Es geht also darum, dass ein Nachteilsausgleich stattfindet, damit das grundgesetzlich geschützte Recht auch erlangt werden kann. Was gebraucht wird, muss gemeinsam besprochen werden, zum Beispiel in einem Hilfeplan-Gespräch (HPG), einer Gesamtplankonferenz oder einem Förderplan. Nur im gemeinsamen Gespräch kann effektiv die Leistung entsprechend der „Art des Bedarfs“ unter Berücksichtigung der „örtlichen Verhältnissen“ (das kann wiederum ein Problem darstellen) und unter Hinzuziehung der „eigenen Kräfte und Mittel der Person“ bestimmt werden (vgl. § 9 Abs. 1 SGB XII).

Gleichzeitig soll den Wünschen des leistungsberechtigten Menschen in Bezug auf die Gestaltung der Leistung nach Möglichkeit entsprochen werden (Abs. 2 S. 1). Wenn diese Wünsche allerdings zu „unverhältnismäßigen Mehrkosten“ führen, soll den Wünschen nicht entsprochen werden (Abs. 2 S. 3). Daraus folgt, dass sich das Wirtschaftlichkeitsgebot nur auf die benötigte Leistung im Vergleich zu einer gleichwertigen, anderen Leistung als Alternative bezieht. Das Wirtschaftlichkeitsgebot bestimmt nicht, ob eine Leistung erbracht werden muss, sondern es bestimmt darüber, welche von zwei oder mehreren gleichwertigen Leistungen zum Zuge kommt.

Eine Förderschule wäre keine gleichwertige, andere Leistung im Vergleich zu einer Regelschule, weil mit der Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft (d.h. andere Menschen aus dem unmittelbaren Sozialraum / Nachbarschaft) ein zu beachtendes Bedürfnis vorhanden ist. Die Förderschule könnte ein weit entferntes Institut sein, ohne Bezug zum eigenen Lebensmittelpunkt.




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