Wichtig ist allerdings,
dass die Wünsche der leistungsberechtigten Person bzw. der eigentliche Sinn und
Zweck einer begehrten Leistung im Antrag für die Eingliederungshilfe gut
formuliert ist. Oder anders gesagt: Es muss klar bestimmt werden, welche Ziele
mit den gewünschten Leistungen verfolgt werden.
Aber es geht noch
weiter. Die Leistungen könnten zeitlich befristet sein; man sieht sich womöglich
mit dem Wirtschaftlichkeitsgebot konfrontiert. Auch sowas muss man kennen, um
dem begegnen zu können. Denn wie sich erst neulich in einem Artikel zeigte,
scheint im Hintergrund wieder eine Politik verfolgt zu werden, die auf die
Einhaltung von Budgetvorgaben abzielt und nicht so sehr auf das hehre Ziel
einer inklusiven Bildungslandschaft.
Gleiches Recht
für alle auf Bildung – das ist der Regelfall
In Deutschland gibt es die Besonderheit, dass Kinder die
Pflicht haben, eine Schule zu besuchen. Näheres dazu bestimmt das jeweilige
Schulgesetz in einem Bundesland. Diese Gesetze müssen jedoch alle in Einklang
stehen mit höheren Rechten, wie die UN-Kinderrechtskonvention (die noch in das
bundesdeutsche Grundgesetz übernommen werden soll) und die
UN-Behindertenrechtskonvention (dazu aber Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG, eingefügt am
27.10.1994: (3) Niemand darf wegen seines
Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat
und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen
benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung
benachteiligt werden.)
Es gibt in Deutschland zudem die Empfehlung, dass
behinderte Kinder eine Förderschule bzw. Förderzentrum besuchen sollen. Doch
das ist lediglich eine Empfehlung, der man nicht folgen muss. Entscheiden sich
Eltern dazu, dass ihr Kind eine Regelschule besuchen soll, ist diese Form der
gelebten Inklusion der Regelfall und es muss ein Nachteilsausgleich dem Kind
zugute kommen.
Wenn die Eltern dagegen die Beschulung in einer
besonderen Schulform wünschen, würden sie ein Gutachten benötigen von der
Schulverwaltung. Es muss also der Anspruch des Kindes zuerst einmal ermittelt
und festgestellt werden (vgl. dazu auch Hessisches Landessozialgericht
26.4.2012, L 4 SO 297/11 B ER, Rn. 28).
Die Schulverwaltung erarbeitet dann einen
sonderpädagogischen Förderplan mit dem der Unterstützungsbedarf bestimmt werden
kann. Übergeordnetes Ziel soll nämlich sein, dass mit dem Förderplan ein
Nachteils- und Behinderungsausgleich entwickelt wird, damit das Kind sein Recht
auf eine angemessene Schulbildung (Pflicht zum Schulbesuch) erfüllen kann. Wenn
der Schulträger diesen Ausgleich nicht ermöglichen kann, müssen Hilfen zu einer
angemessenen Schulbildung über die Eingliederungshilfe eingeholt werden (bis
2019: § 54 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB XII in Verbindung mit § 12 Nr. 1
Eingliederungshilfe-VO; ab 1.1.2020: § 99, § 112 Abs. 1 SGB IX n.F.). Der
Förderplan dient dazu als eine wesentliche Entscheidungsgrundlage, wobei es
nicht auf persönliche Details ankommt, sondern auf die benötigten Hilfen zum
Erreichen einer angemessenen Schulbildung. In der Regel ergeht ein simpler
Fragebogen an den Schulträger, in dem genau diese Hilfen genannt werden.
Träger der Eingliederungshilfe können nicht verlangen,
dass ein Gutachten erstellt wird (sie haben hier keine Prärogative). Sie müssen
auf der Grundlage ihrer eigenen Gesetze den Antrag der Eltern und des Kindes
auf Hilfen zu einer angemessenen Schulbildung prüfen und dafür brauchen sie
Begründungen – mit solchen Beweismitteln ist der Ermessensspielraum eingeengt.
Ein Gutachten könnte somit helfen, das Ermessen zu steuern, doch einen
Rechtsanspruch auf Hilfen ergibt sich daraus nicht zwangsläufig. Es ist in
jedem Fall hilfreich, wenn die Schulverwaltung die Möglichkeit des Erreichens
einer angemessenen Schulbildung bejaht und gleichzeitig herausstellt, welche
Hilfen dafür benötigt werden (vgl. BSG-Urteil vom 23.2.2012, B 8 SO 30/10 R,
Rn. 25, und im Hinblick auf die Geltung für die Jugendhilfe Bayerisches VGH,
Beschluss vom 18.2.2013, Az. 12 CE 12.2104).
Abgrenzung von
Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft
In einer Offenen Ganztagsschule (OGS) kann zweierlei
möglich sein, stellte das BSG vor einiger Zeit in einem Urteil fest. Ein
solches „außerunterrichtliches schulisches Angebot kann eine Integrationshilfe
zur Erlangung einer angemessenen Schulbildung im Rahmen der Eingliederungshilfe
sein“, es kann aber auch eine private Beschäftigungs- und Spielzeit darstellen
(BSG-Urteil vom 6.12.2018, Az. B 8 SO 7/17 R). Entscheidend dafür sind die
Ziele, die in der OGS verfolgt werden.
Bei den Leistungen zur Teilhabe an Bildung (§ 5 Nr. 4 SGB
IX) kommt es sehr darauf an, ob der OGS ein „pädagogisches Konzept“ zugrunde
liegt, damit ein positiver Einfluss auf den Schulerfolg gewährleistet ist.
Mithilfe dieser Ausrichtung würde der Schulerfolg für das Kind anzunehmen sein,
so dass entsprechende Hilfe durch den Leistungsträger der Eingliederungshilfe
übernommen werden müssen (vgl. dazu § 112 Abs. 1 S. 2 SGB IX). In seiner
Pressmitteilung sagte das BSG:
„Liegen diese
insbesondere in der Unterstützung, Erleichterung oder Ergänzung der
Schulbildung, ist auch der zur Unterstützung des behinderten Kindes hierfür
erforderliche Integrationshelfer eine Hilfe zur angemessenen Schulbildung, wenn
sie diese zumindest erleichtert. Will das Nachmittagsangebot jedoch etwa durch
gemeinsames Spielen lediglich die Zeit überbrücken, bis die Eltern sich wieder
ihrer Kinder annehmen, hat es allenfalls mittelbar eine positive Auswirkung auf
die Schulbildung im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht. In diesem Fall kommt
nur eine Hilfe zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft in Betracht.“ (Pressemitteilung
Nr. 52 vom 6.12.2018; und § 5 Nr. 5 SGB IX)
Es kommt also sehr darauf an, welche Ziele mit der OGS
verfolgt werden. In vielen Fällen geht es sicherlich nur darum, dass das Kind
einfach nur betreut ist in einer Umgebung, die es kennt. Gerade bei behinderten
Menschen ist die soziale Teilhabe sehr essentiell, so dass jedes Angebot an
Betreuung gerne wahrgenommen wird. Doch das sind dann keine
Unterstützungsleistungen mit dem Ziel des Erreichens einer angemessenen
Schulbildung. Werden Leistungen der Eingliederungshilfe beantragt, muss
absolute Klarheit darüber bestehen, was genau und mit welchem Ziel gesucht
wird.
Leistungen zur Teilhabe
an Bildung könnten zeitlich befristet sein?
Im Falle eines „verlangsamten Kindes“ findet ebenfalls
eine Entwicklung statt; kein Stillstand, wie man es gerne unterstellen möchte,
um Kosten zu sparen, sondern eine Entfaltung und Reife in seiner eigenen
Geschwindigkeit (dazu passend folgender Beitrag auf Deutschland-Funk: „Unser Umfeld
beeinflusst, wie intelligent wir sind“ von Armin Nassehi, Soziologe an der
Ludwig-Maximilians-Universität München; Link).
Wenn die „übliche“ Zeit zum Maßstab genommen wird, in der
eine Allgemeine Schulbildung in „angemessener Weise“ erworben werden kann,
kommt dieser Frage eine sehr große Bedeutung zu. Beschränken sich die
unterstützenden Maßnahmen nur auf die Vollzeitschulpflicht, ist ein
„vorzeitiges“ Verlassen wahrscheinlich. Nicht mehr die mögliche Erlangung eines
Schulabschlusses würde im Vordergrund stehen, sondern eine vorab festgelegte
Anzahl Schulbesuchsjahre. Wären diese Zeiten verbraucht, würde der weitere
Schulbesuch nicht mehr angemessen und demzufolge wirtschaftlich nicht mehr
vertretbar sein (Mehrkostenvorbehalt).
In einem Urteil aus dem Jahr 2001 befand nun ein
Verwaltungsgerichtshof (Bayern), dass das Erreichen von Lernzielen einer
Jahrgangsstufe wesentlich ist (siehe Quelle unten). Es wurde weiter geprüft, ob
dieses Erreichen nur mit Hilfe der außerschulischen Fördermaßnahme, d.h. die
während der Schulzeit zu betreuende pädagogische Hilfskraft, möglich ist. Weil
dies der Fall war, die regionale Förderschule jedoch ebenfalls eine angemessene
Schulbildung ermöglichte und hierzu keine Gegenrede seitens der klagenden
Leistungsberechtigten eingebracht wurde, befand das Gericht, dass der Nachrang
der Sozialhilfe zu beachten wäre. Die Kostenübernahme durch den
Sozialhilfe-Träger sei somit nicht mehr erforderlich.
Dem steht die oben genannte BSG-Entscheidung entgegen. Wenn
zum Beispiel einer OGS ein pädagogisches Konzept zugrunde liegt und ein
positiver Schulerfolg zum Ziel erklärt bzw. dieses Ziel individuell angestrebt
wird, spricht nichts mehr gegen Leistungen zur Teilhabe an Bildung.
Damit ist diese Frage allerdings nicht endgültig geklärt.
Man kann diese Frage nämlich noch sehr viel ausführlicher verfolgen, was aber
jetzt den Rahmen sprengen würde. In Schleswig-Holstein gab es in den letzten
Jahren eigentlich ein Trend zu einer stärkeren Inklusion von behinderten
Kindern in den Regelschulen. Doch in den Medien wird ein Schulpolitiker der
Opposition zitiert mit der Feststellung: „Erstmals seit Jahren sei die Zahl der
Schüler an Förderzentren im Schuljahr 2018/2019 gestiegen“ (siehe dazu SHZ vom
8.2.2020, A. Beig Verlag: „Streit um Inklusionspolitik“). Man könnte nun
befürchten, so die Person, über die berichtet wird, dass der „Konsens zu
Inklusion von 2014 aufgekündigt“ worden ist.
CGS
Quellen:
§ 12 Eingliederungshilfe-Verordnung, Schulbildung (bis 31.12.2019)
Eigener Beitrag vom 14.5.2018
Eigener Beitrag vom 28.7.2018
VGH Bayern, Az. 12 B 98.2022, Urteil vom 14.5.2001
Anspruch auf Kostenübernahme wegen Besuchs einer
Regelschule
Bundessozialgericht
Bundesarbeitsgemeinschaft für Arbeit und Rehabilitation
(BAR)
Notizen:
1.
In Schleswig-Holstein findet in der Gemeinschaftsschule
ein sogenannter „binnendifferenzierter“ Unterricht statt (vgl. § 43 Abs. 1 S. 2
SchulG-SH). Den ESA können die Schüler mit der Versetzung in die zehnte
Jahrgangsstufe oder durch Teilnahme an einer Prüfung in der neunten
Jahrgangsstufe erlangen (Abs. 2). Doch darüber hinaus ist ab der Jahrgangsstufe
acht der Besuch einer „flexiblen Übergangsphase“ möglich, so dass die Schüler
in drei Jahren auf den ESA vorbereitet werden können (Abs. 3). Damit kann sich
die Anzahl der Schulbesuchsjahre bis zum ESA ab der Grundschule auf 6 Jahre
erweitern.
Für die Grundschulzeit hat das Bundesland
Schleswig-Holstein eine Eingangsphase von zwei Jahren bestimmt, die aber je
nach Lernentwicklung eines Schülers oder Schülerin auf ein Jahr verkürzt oder
auf drei Jahre verlängert werden kann (vgl. § 41 Abs. 2 SchulG-SH). Wenn diese
Besonderheit mit zu berücksichtigen wäre, ergibt sich eine neue „übliche“ Schulbesuchszeit
von maximal 11 Jahren (d.h. 5 Jahre Grundschule + 6 Jahre Sekundarstufe 1).
Dagegen beträgt die Dauer der (Vollzeit-) Schulpflicht
insgesamt nur 9 Jahre (vgl. § 20 Abs. 2 Ziff. 1 SchulG-SH).
Die Vollzeitschulpflicht beginnt in der Regel im Alter
von 6 Jahren (vgl. § 22 Abs. 1 SchulG-SH). Mit Verlassen der allgemeinen Schule
beginnt die Berufsschulpflicht (vgl. § 23 Abs. 1 SchulG-SH).
2.
Leistungen richten sich nach den Besonderheiten des
Einzelfalls. Es geht also darum, dass ein Nachteilsausgleich stattfindet, damit
das grundgesetzlich geschützte Recht auch erlangt werden kann. Was gebraucht
wird, muss gemeinsam besprochen werden, zum Beispiel in einem
Hilfeplan-Gespräch (HPG), einer Gesamtplankonferenz oder einem Förderplan. Nur
im gemeinsamen Gespräch kann effektiv die Leistung entsprechend der „Art des
Bedarfs“ unter Berücksichtigung der „örtlichen Verhältnissen“ (das kann
wiederum ein Problem darstellen) und unter Hinzuziehung der „eigenen Kräfte und
Mittel der Person“ bestimmt werden (vgl. § 9 Abs. 1 SGB XII).
Gleichzeitig soll den Wünschen des leistungsberechtigten
Menschen in Bezug auf die Gestaltung der Leistung nach Möglichkeit entsprochen
werden (Abs. 2 S. 1). Wenn diese Wünsche allerdings zu „unverhältnismäßigen
Mehrkosten“ führen, soll den Wünschen nicht entsprochen werden (Abs. 2 S. 3).
Daraus folgt, dass sich das Wirtschaftlichkeitsgebot nur auf die benötigte
Leistung im Vergleich zu einer gleichwertigen, anderen Leistung als Alternative
bezieht. Das Wirtschaftlichkeitsgebot bestimmt nicht, ob eine Leistung erbracht
werden muss, sondern es bestimmt darüber, welche von zwei oder mehreren
gleichwertigen Leistungen zum Zuge kommt.
Eine Förderschule wäre keine gleichwertige, andere
Leistung im Vergleich zu einer Regelschule, weil mit der Teilhabe am Leben in
der Gemeinschaft (d.h. andere Menschen aus dem unmittelbaren Sozialraum /
Nachbarschaft) ein zu beachtendes Bedürfnis vorhanden ist. Die Förderschule
könnte ein weit entferntes Institut sein, ohne Bezug zum eigenen Lebensmittelpunkt.
Das hier war und ist keine Rechtsberatung oder
Aufforderung zur Vornahme eines Rechtsgeschäftes. Bitte wenden Sie sich an die
zuständigen Behörden, Sozialverbände oder rechtskundige Dritte. Lesen Sie dazu die
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