Würden
Entgeltverhandlungen nur auf der Grundlage von Marktpreisen geführt werden,
müssten sich einheitliche Vergütungssätze, zumindest bei den Grund- und
Maßnahmepauschalen, ergeben. Doch nicht immer sind Marktpreise möglich, weil es
zwischen den Regionen, gerade zwischen ländlichem und städtischem Bereich,
deutliche Unterschiede geben kann. Ganz besonders finden sich Unterschiede bei Maßnahmenpauschalen,
die im besonderen Maße von der Tarifzugehörigkeit eines Leistungserbringers
geprägt sind. Gerade weil so mancher Tarifvertrag als „teuer“ angesehen wird,
man vergleiche z.B. nur TV-L und TVöD, ergeben sich zwangsläufig Unterschiede
(vgl. auch meine Beiträge zum Verdienstvergleich von Schulassistenten und
Schulbegleitern).
Gegenüber
Nicht-Tarifanwendern würde sich der Nachteil nur vergrößern. Daraus folgt, dass
bei einer Vereinheitlichung von Vergütungen, auf der Grundlage von
Marktpreisen, kein Anreiz zum Verbleib eines Leistungserbringers in einem
tarifgebundenen Arbeitgeberverband gegeben wäre. Und überhaupt wäre bei einer
solchen Denkweise kritisch zu hinterfragen, warum Leistungserbringer schlechter
gestellt sein sollen, als die öffentlichen Leistungsträger; immerhin wird ja
hier ein öffentlicher Auftrag von nicht-öffentlichen Sozialunternehmen
ausgeführt.
Das
Bundessozialgericht (BSG) hatte diese Problematik ebenfalls erkannt und in
verschiedenen Urteilen die Angemessenheit tariflicher und tarifähnlicher
Gehälter bestätigt.
BSG-Urteile vom
29.1.2009, Az. B 3 P 6/08 R und Az. B 3 P 7/08 R
Eine Marktorientierung muss gegeben sein, aber die
Gestehungskosten sind nicht „bedeutungslos“ (Az. B 3 P 6/08 R, Rz. 25). Vergütungen
dürfen sich nicht ausschließlich nach Marktpreisen bestimmen und die
kalkulatorischen Gestehungskosten außer Acht lassen. Ein solches Verfahren
würde dann dazu führen, dass bei Tarifbindungen sich z.B. eine „Schere zwischen
Gestehungskosten und Refinanzierung“ öffnet, die sogar „existenzgefährdend sei“
(Az. B 3 P 6/08 R, Rz. 22 und Rz. 23; Az. B 3 P 7/08 R, Rz. 24).
Das BSG stellte somit fest: „Die Einhaltung der
Tarifbindung und die Zahlung ortsüblicher Gehälter sind dabei immer als wirtschaftlich angemessen zu
werten“ (Az. B 3 P 6/08 R, Rz. 33; Fettdruck von mir). Und somit sind durch
diese Feststellung tariflich bedungene, höhere Gestehungskosten gerade in Bezug
auf die Kalkulation der Maßnahmepauschale gerechtfertigt.
BSG-Urteil vom
7.10.2015, Az. B 8 SO 21/14 R
Auch Arbeitsvertragliche Richtlinien (AVR) sind wie
Tarifverträge anzusehen, weil sie sich durch eine Einheitlichkeit auszeichnen
und weil eine tarifähnliche Einordnungsweise stattfindet. Das BSG hebt hervor,
dass „die Zahlung nach den AVR ähnlich wie der nach einem Tarifvertrag durch
Zahlung ortsüblicher Gehälter …“ (Rz. 18).
Und weiter begründet das BSG: „Zahlt aber eine
Einrichtung Gehälter nach Tarifvertrag (bzw AVR) oder sonstige ortsübliche
Arbeitsvergütungen, kann ihr regelmäßig nicht entgegengehalten werden, dass
andere Träger geringere Entgelte zahlen und deshalb ihr Aufwand einer
wirtschaftlichen Betriebsführung nicht entspreche, wie bereits zu Recht der 3.
Senat des BSG entschieden hat; die
Einhaltung der ‚Tarifbindung‘ und die Zahlung ortsüblicher Gehälter sind danach
grundsätzlich als wirtschaftlich angemessen zu werten und genügen insoweit
den Grundsätzen wirtschaftlicher Betriebsführung“ (Rz. 19, Fettdruck von mir).
Personalkostenwerte
im Hamburger Kalkulationsverfahren
Im Hamburger Kalkulationsverfahren für Leistungen an
Menschen, die in stationären Wohneinrichtungen leben und Leistungen der
Eingliederungshilfe nach Leistungsstufen erhalten, kann man sagen, hat es eine
Berücksichtigung dieser tariflichen Personalkosten gegeben; es gab zwar einige
Leistungserbringer, die sich diesem Gedanken widersetzten, aber die Umsetzung
dieser BSG-Urteile war korrekt und folgerichtig.
Für jede Gruppe von Tarifanwendern wurden aber
Mittelwerte für die Personalkosten ermittelt, die nun, wie zuletzt wieder
geschehen, pauschal fortgeschrieben werden. Da sich
Sozialversicherungs-Beiträge im Wesentlichen auf die Bruttogehälter beziehen,
müssen Absenkungen oder Steigerungen bei den Fortschreibungen entsprechend
berücksichtigt werden; bei den „2,30 %“ für den TV-L ist dies (in etwa) geschehen
(= 2,35 tariflich ./. 0,03 SV-AG).
Stellt sich nun die Frage, inwieweit in anderen Bereichen
und Bundesländern ein solches Vorgehen umgesetzt wird. Auch die viel
diskutierte Vorgabe, Vergütungen wären „automatisch“ angemessen, wenn sie sich
im unteren Drittel der Bandbreite befinden, bekommt durch eine solche
Rechtsauffassung, immerhin geht es um die Honorierung von Tarifbindungen, einen
Dämpfer. Vergütungen müssten zuerst von eben diesen Personalkosten befreit
werden, bevor ein externer Vergleich überhaupt möglich ist.
CGS
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