Freitag, 19. Januar 2018

BSG-Urteile zum Thema Tarifbindung und Angemessenheit

Würden Entgeltverhandlungen nur auf der Grundlage von Marktpreisen geführt werden, müssten sich einheitliche Vergütungssätze, zumindest bei den Grund- und Maßnahmepauschalen, ergeben. Doch nicht immer sind Marktpreise möglich, weil es zwischen den Regionen, gerade zwischen ländlichem und städtischem Bereich, deutliche Unterschiede geben kann. Ganz besonders finden sich Unterschiede bei Maßnahmenpauschalen, die im besonderen Maße von der Tarifzugehörigkeit eines Leistungserbringers geprägt sind. Gerade weil so mancher Tarifvertrag als „teuer“ angesehen wird, man vergleiche z.B. nur TV-L und TVöD, ergeben sich zwangsläufig Unterschiede (vgl. auch meine Beiträge zum Verdienstvergleich von Schulassistenten und Schulbegleitern).

Gegenüber Nicht-Tarifanwendern würde sich der Nachteil nur vergrößern. Daraus folgt, dass bei einer Vereinheitlichung von Vergütungen, auf der Grundlage von Marktpreisen, kein Anreiz zum Verbleib eines Leistungserbringers in einem tarifgebundenen Arbeitgeberverband gegeben wäre. Und überhaupt wäre bei einer solchen Denkweise kritisch zu hinterfragen, warum Leistungserbringer schlechter gestellt sein sollen, als die öffentlichen Leistungsträger; immerhin wird ja hier ein öffentlicher Auftrag von nicht-öffentlichen Sozialunternehmen ausgeführt.

Das Bundessozialgericht (BSG) hatte diese Problematik ebenfalls erkannt und in verschiedenen Urteilen die Angemessenheit tariflicher und tarifähnlicher Gehälter bestätigt.


BSG-Urteile vom 29.1.2009, Az. B 3 P 6/08 R und Az. B 3 P 7/08 R

Eine Marktorientierung muss gegeben sein, aber die Gestehungskosten sind nicht „bedeutungslos“ (Az. B 3 P 6/08 R, Rz. 25). Vergütungen dürfen sich nicht ausschließlich nach Marktpreisen bestimmen und die kalkulatorischen Gestehungskosten außer Acht lassen. Ein solches Verfahren würde dann dazu führen, dass bei Tarifbindungen sich z.B. eine „Schere zwischen Gestehungskosten und Refinanzierung“ öffnet, die sogar „existenzgefährdend sei“ (Az. B 3 P 6/08 R, Rz. 22 und Rz. 23; Az. B 3 P 7/08 R, Rz. 24).

Das BSG stellte somit fest: „Die Einhaltung der Tarifbindung und die Zahlung ortsüblicher Gehälter sind dabei immer als wirtschaftlich angemessen zu werten“ (Az. B 3 P 6/08 R, Rz. 33; Fettdruck von mir). Und somit sind durch diese Feststellung tariflich bedungene, höhere Gestehungskosten gerade in Bezug auf die Kalkulation der Maßnahmepauschale gerechtfertigt.




BSG-Urteil vom 7.10.2015, Az. B 8 SO 21/14 R

Auch Arbeitsvertragliche Richtlinien (AVR) sind wie Tarifverträge anzusehen, weil sie sich durch eine Einheitlichkeit auszeichnen und weil eine tarifähnliche Einordnungsweise stattfindet. Das BSG hebt hervor, dass „die Zahlung nach den AVR ähnlich wie der nach einem Tarifvertrag durch Zahlung ortsüblicher Gehälter …“ (Rz. 18).

Und weiter begründet das BSG: „Zahlt aber eine Einrichtung Gehälter nach Tarifvertrag (bzw AVR) oder sonstige ortsübliche Arbeitsvergütungen, kann ihr regelmäßig nicht entgegengehalten werden, dass andere Träger geringere Entgelte zahlen und deshalb ihr Aufwand einer wirtschaftlichen Betriebsführung nicht entspreche, wie bereits zu Recht der 3. Senat des BSG entschieden hat; die Einhaltung der ‚Tarifbindung‘ und die Zahlung ortsüblicher Gehälter sind danach grundsätzlich als wirtschaftlich angemessen zu werten und genügen insoweit den Grundsätzen wirtschaftlicher Betriebsführung“ (Rz. 19, Fettdruck von mir).



Personalkostenwerte im Hamburger Kalkulationsverfahren

Im Hamburger Kalkulationsverfahren für Leistungen an Menschen, die in stationären Wohneinrichtungen leben und Leistungen der Eingliederungshilfe nach Leistungsstufen erhalten, kann man sagen, hat es eine Berücksichtigung dieser tariflichen Personalkosten gegeben; es gab zwar einige Leistungserbringer, die sich diesem Gedanken widersetzten, aber die Umsetzung dieser BSG-Urteile war korrekt und folgerichtig.

Für jede Gruppe von Tarifanwendern wurden aber Mittelwerte für die Personalkosten ermittelt, die nun, wie zuletzt wieder geschehen, pauschal fortgeschrieben werden. Da sich Sozialversicherungs-Beiträge im Wesentlichen auf die Bruttogehälter beziehen, müssen Absenkungen oder Steigerungen bei den Fortschreibungen entsprechend berücksichtigt werden; bei den „2,30 %“ für den TV-L ist dies (in etwa) geschehen (= 2,35 tariflich ./. 0,03 SV-AG).

Stellt sich nun die Frage, inwieweit in anderen Bereichen und Bundesländern ein solches Vorgehen umgesetzt wird. Auch die viel diskutierte Vorgabe, Vergütungen wären „automatisch“ angemessen, wenn sie sich im unteren Drittel der Bandbreite befinden, bekommt durch eine solche Rechtsauffassung, immerhin geht es um die Honorierung von Tarifbindungen, einen Dämpfer. Vergütungen müssten zuerst von eben diesen Personalkosten befreit werden, bevor ein externer Vergleich überhaupt möglich ist.

CGS



Weitere Beiträge zum Hamburger Kalkulationsverfahren, nachfolgend verlinkt:





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