Mittwoch, 13. Mai 2015

Noch mehr Störfeuer zum BTG

Am 19.3.2015 hatte ich über ein Vorhaben aus dem Bundesfinanzministerium (BMF) geschrieben, was wohl allen politischen Aktivitäten zu einem Bundesteilhabegesetz (BTG) ein Ende bereiten könnte. In der Folge sahen sich einige Interessenverbände aufgerufen, den politischen Willen zur Entstehung eines solchen Gesetzes zu beschwören. Und tatsächlich bereitet wohl das Bundesarbeitsministerium (BMAS) einen ersten Gesetzentwurf vor. Nun schreibt der Tagesspiegel unter der Überschrift „Wolfgang Schäuble rückt vom Koalitionsvertrag ab“ (Quellenangabe weiter unten):

„Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) ist von einem sozialpolitischen Kernpunkt des Koalitionsvertrages abgerückt. Es geht dabei um die Eingliederungshilfe für Behinderte. In einem Positionspapier des Finanzministeriums, das als Verhandlungsgrundlage für die laufenden Bund-Länder-Gespräche zu einem neuen Finanzausgleich dient, heißt es, die 'Finanzierungsverantwortung für die Eingliederungshilfe bleibt vollständig dezentral bei Ländern und Kommunen'. Zudem schlägt Schäuble vor, dass die Länder eine 'beschränkte Gesetzgebungskompetenz' bei der Eingliederungshilfe und anderen Sozialleistungen bekommen, bei denen sie Finanzierungsverantwortung haben, wie es in dem Papier weiter heißt.“

Dazu schreibt der Autor weiter, dass der Koalitionsvertrag damit „konterkariert“ wird, und zwar in mehrfacher Hinsicht: Erstens wollte die Koalition die Eingliederungshilfe in ein eigenes Gesetz einbringen und grundlegend neu organisieren (immerhin finanzierten die Länder und Kommunen die Ausgaben hierfür), und zweitens wird eine wenn auch „beschränkte“ Gesetzgebungskompetenz den Wert eines Bundesgesetzes „deutlich mindern“. Dass die angepeilte finanzielle Entlastung von 5 Mrd. Euro noch nicht gelaufen ist, hat anscheinend verwaltungstechnische Gründe. Man plant eine „zielgenaue“ Entlastung, was aber bei der Vielzahl unterschiedlicher Finanzierungskonstruktionen in den Ländern und Kommunen problematisch erscheint. Und weil hier nichts passiert, gibt es aus einigen Ländern entsprechende Kritik.

Am Beispiel von Schleswig-Holstein (Beitrag vom 21.11.2014) hatte ich schon einmal über die gesetzliche Finanzierung der Eingliederungshilfe berichtet. Im Ausführungsgesetz zur Sozialhilfe (AG-SGB XII-SH) ist geregelt, wer in Schleswig-Holstein örtlicher oder überörtlicher Träger der Sozialhilfe ist (§ 1 AG-SGB XII-SH), wer wofür sachlich zuständig ist (§ 2 AG-SGB XII-SH). Dass das aber so ist, hängt ganz entscheidend mit § 3 SGB XII zusammen, in dem steht, dass die Sozialhilfe von Örtlichen und Überörtlichen Trägern zu leisten ist. Hierzu gehören kreisfreie Städte und Kreise, „soweit nicht nach Landesrecht etwas anderes bestimmt wird“ (vgl. § 3 Abs. 2 Satz 1 SGB XII).

Im Bereich der Leistungen nach dem 4. Kapitel SGB XII (Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung) gibt es eine finanzielle Erstattungsregelung. In § 46 a Abs. 1 SGB XII ist bestimmt, dass der Bund ab 2014 jeweils 100 % der geldlichen Nettoausgaben für Grundsicherungsleistungen erstattet. Die Länder gewährleisten, dass die Ausgaben „begründet und belegt“ sind und sie liefern einen Nachweis an das BMAS.

Damit stellt sich die Frage, was in dem Vorschlag des BMF stehen wird. Plant man eine Regelung analog zu den Bestimmungen im 4. Kapitel? Und was spricht denn gegen eine völlige Herauslösung aus dem SGB XII?

Noch immer wird argumentiert, dass die Eingliederungshilfe eine „hohe Kostendynamik“ entfalte. Der Artikel verweist auf den Deutschen Städtetag, welcher die Kosten bis 2020 auf 21,6 Mrd. Euro einschätzt – in 2012 zahlten Länder und Kommunen insgesamt 16,5 Mrd. Euro, d.h. im Durchschnitt wurden pro Leistungsberechtigten 16.000 Euro im Jahr aufgewendet (Bandbreite 9.000 bis 25.000 Euro).

Schätzungen sind legitim, doch keiner kann derzeit sagen, ob sich die Zahlen wirklich so entwickeln. Schon vor langer Zeit hatte ich mir diese Frage gestellt und eigene Berechnungen angestellt (nachfolgend nur die groben Ergebnisse aus meinem Beitrag vom 21.8.2014: „Die Kosten der Eingliederungshilfe steigen. Stimmt das?“). Betrachtet man die Gesamtausgaben von 2000 und 2010, ergibt sich eine Ausgabensteigerung um knapp 50 %. Doch weil gleichzeitig auch der Kreis der Leistungsberechtigten um 52 % gestiegen ist, hat man im Durchschnitt eine Kostensenkung – und die Auswirkungen von Inflation und Gehaltssteigerungen sind in den Ergebnissen noch gar nicht berücksichtigt worden!

Könnte also an dem kommenden Vorschlag möglicherweise etwas „Gutes“ sein oder handelt es sich um den letzten Versuch, die Debatte um ein Bundesgesetz, welches möglicherweise die Umsetzung der Forderungen aus der UN-BRK beschleunigt, abzuschaffen? Ein Störfeuer.

CGS









Montag, 11. Mai 2015

Stunden sind nicht gleich Stunden

Es entspinnt sich ein Streit darüber, ob die „bewilligten“ Stunden, auf die ein Leistungsberechtigter ausweislich des Leistungsbescheids des Sozialhilfeträgers (Leistungsträgers) Anspruch haben soll, tatsächlich vom Träger der Einrichtung (Leistungserbringer) zu leisten sind. Hierüber entstehen heftige Debatten u.a. zwischen Eltern von Leistungsberechtigten und den Einrichtungsleitungen. Wer hat Recht?

Es geht zuerst einmal um Bedarfe, die in der Gesamtplankonferenz nach § 58 SGB XII festgestellt werden. Es ist dabei Sache des Sozialhilfeträgers, den Gesamtplan zur Durchführung der einzelnen Leistungen aufzustellen, wobei der Leistungsberechtigte die Möglichkeit erhält, seine persönlichen Wünsche einzubringen. Dass es überhaupt zu einer Gesamtplankonferenz kommt, hat etwas damit zu tun, dass der Leistungsberechtigte einen gesetzlich verankerten Leistungsanspruch geltend machen kann gegenüber dem Sozialhilfeträger (§§ 53, 54 SGB XII).

Es geht in solchen Konferenzen aber nicht um Quantitäten, sondern um qualitative Inhalte. Als Leistungsberechtigter hat man keineswegs einen Anspruch auf eine bestimmte Menge an Leistung, sondern an die Bedarfsdeckung eines Hilfebedarfes. Darum heißt es in § 9 Abs. 1 SGB XII: 
„Die Leistungen richten sich nach der Besonderheit des Einzelfalles, insbesondere nach der Art des Bedarfs, den örtlichen Verhältnissen, den eigenen Kräften und Mitteln der Person oder des Haushalts bei der Hilfe zum Lebensunterhalt.“
Alles zusammen wird dann in einem Individuellen Hilfeplan (IHP) beschrieben und mit einem Leistungsumfang seitens des Sozialhilfeträgers bemessen. Dieser Leistungsumfang richtet sich nach den Einschätzungen, die der Sozialhilfeträger aus der Gesamtplankonferenz gewonnen hat und die mit ähnlich gelagerten Fällen verglichen werden können – d.h. Gruppen von Leistungsberechtigten mit vergleichbaren Bedarfen (vgl. auch § 76 Abs. 2 SGB XII).

Während bis zum Übergangsdatum 30.6.2015 noch sogenannte Hilfeempfänger- oder Hilfebedarfsgruppen (bisher 5) als probate Kategorisierungen herhalten mussten, werden es demnächst Leistungsstufen bzw. Leistungsgruppen (nunmehr 4) sein. Wesentliche Neuerung ist bei dieser Änderung, dass man von Tagessätzen auf Stundensätzen wechselt.

Anscheinend wurde nun bekannt, wie viele Stunden sich hinter jeder Leistungsstufe bzw. Leistungsgruppe verbergen. Die Eltern von Leistungsberechtigten folgern daraus, dass diese Stundenzahl, umgerechnet in Wochenstunden, direkt vom Träger der Einrichtung zu erbringen ist. Einen solchen Anspruch gibt es nicht, retournieren die Einrichtungsleitungen, da auch sogenannte Hintergrund- und Allgemeindienste abgedeckt werden müssen. Dahinter verbergen sich wiederum solche Dienste, zu denen die Bereitstellung, Organisation, Dokumentation und Planung  der Leistungen gehören. Außerdem muss eine jede Einrichtung Personalressourcen so verwalten, damit über das Jahr gesehen Urlaubs- und Krankheitszeiten, auch die plötzliche Bereithaltung eines Notdienstes bei Krankheit des Bewohners, abgedeckt werden. Würde man starr und unflexibel verfahren und beständig beispielsweise 14 Wochenstunden „am Mann“ ableisten, könnten akute Hilfebedarfe nicht mehr abgedeckt werden.

Es handelt sich also bei diesen Stunden-Mengen um standardisierte Kalkulationsgrößen, die so auch vom Gesetzgeber in § 76 Abs. 2 SGB XII gewollt worden sind. Dies hat etwas mit gegenseitiger Deckungsfähigkeit zu tun. Zu diesem Begriff heißt es in der Wikipedia: 
„Deckungsfähigkeit ist ein Begriff aus dem Haushaltsrecht und bedeutet, dass Ausgaben ist im Haushaltsrecht öffentlicher Haushalte ein Instrument, mit dessen Hilfe die sachliche Bindung einzelner Ausgaben an den vorgegebenen Ausgabentitel durchbrochen werden kann, um bei einem Haushaltstitel mehr Ausgaben zu leisten als im Haushaltsplan veranschlagt oder zugewiesen wurde, was jedoch Einsparungen bei einem oder mehreren anderen Titeln voraussetzt.“
(Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Deckungsfähigkeit)


Also:

Die so bewilligten Stunden sind als eine Kalkulationsgröße für die Ermittlung der Vergütung zu verstehen und nicht als die tatsächlich zu erbringende Leistungsmenge, ausgedrückt in Stunden am Leistungsberechtigten.

Es ist verständlich, dass viele Eltern dies anders sehen wollen, denn eine bestimmte Menge kann leichter kontrolliert werden, als ein umschriebener (abstrakter) Hilfebedarf.

CGS





Freitag, 8. Mai 2015

Die Behindertenhilfe wird ebenfalls bestreikt (Tarifrunde 2015)

Seit heute, 8.5.2015, werden neben Kindertagesstätten und der schulischen Ganztagsbetreuung nun auch Einrichtungen der Behindertenhilfe unbefristet von VERDI bestreikt. Notdienste werden, soweit es geht, eingerichtet und die Versorgung gesichert.

VERDI sieht sich aufgrund eines hohen Zuspruchs von 93,44 % (Angabe der Gewerkschaft) bei der Urabstimmung gut unterstützt. Es geht um nicht weniger als eine Steigerung der Gehälter von rd. 10 % bei den Beschäftigten im Sozial- und Erziehungsdienstes. Doch wie teuer diese Forderung die kommunalen Arbeitgeber kommen wird, lässt sich nur sehr grob schätzen und nicht auf die vorgenannte Erhöhung reduzieren. Die Gewerkschaft fordert z.B., dass eine Anrechnung von einschlägiger Berufserfahrung, auch aus anderen Arbeitsverhältnissen erfolgen soll und dass bestimmte Berufe in höhere Entgeltgruppen eingruppiert werden (z.B. Kinderpfleger).

Der Verband der kommunalen Arbeitgeber (VKA) kontert mit den üblichen Vergleichen: Erzieher  würden dann viel besser bezahlt werden, als Handwerker mit einer dreijährigen Ausbildung, Feuerwehrmänner / -frauen und staatlich geprüfte Techniker.

Problematisch an solchen Arbeitskämpfen sind weniger die Streikfolgen und zeitlich befristeten Ausfälle, sondern die bisher nicht refinanzierten Personalkostensteigerungen in den Vergütungen für z.B. die aktuell bestreikten Einrichtungen der Behindertenhilfe. Eine lineare Tabellenentgeltsteigerung könnte man noch ohne weitere Mühen über die Maßnahmepauschale in die Vergütung übernehmen, doch bei Veränderungen in den Eingruppierungsregeln gestaltet sich die Angelegenheit schwieriger. Und dann muss noch bedacht werden, dass die Verhandler in der Vertragskommission SGB XII Vergütungssätze zum 1. Januar eines neuen Jahres verhandelt haben wollen, aber mit unterjährigen Anpassungen nicht umgehen mögen.

CGS


PS:

Bei den bestreikten Einrichtungen der Behindertenhilfe sollte es sich um Tagesförderstätten und Werkstätten für behinderte Menschen handeln, aber nicht um Wohnstätten und Ambulante Dienste. Auch sind aktuell nur drei Anbieter dieser Einrichtungen betroffen.








Freitag, 24. April 2015

Wer übernimmt die Kosten für einen Integrationsassistenten in einer Offenen Ganztagesschule?

Der Paritätische Wohlfahrtsverband Schleswig-Holstein informierte am 5.1.2015 über ein neues Sozialgerichtsurteil zum Einsatz eines Integrationsassistenten (Integrationshelfer oder Schulbegleitung) in der Nachmittagsbetreuung an einer Offenen Ganztagesschule (SG Detmold, Urteil vom 28.10.2014 – SO 285/12). Im Wesentlichen ging es weniger darum, ob es eine Leistungsberechtigung gab, der Kläger gehörte unzweifelhaft zum Personenkreis nach §§ 53 ff. SGB XII, sondern vielmehr um die Kostenbeteiligung nach § 92 Abs. 2 SGB XII.

Der Sozialhilfeträger verlangte vom Kläger bzw. seinen unterhaltspflichtigen Eltern einen Kostenbeitrag hinsichtlich des Einsatzes einer Integrationsassistenz am Nachmittag und begründete sein Verlangen wie folgt:

„Der Kläger gehöre aufgrund seiner Behinderung unbestritten zum Personenkreis der Leistungsberechtigten der Eingliederungshilfe nach §§ 53 ff. SGB XII. Bei der OGS (= Offenen Ganztagesschule, eig. Anm.) handle es sich nicht um eine Maßnahme der angemessenen Schulausbildung, sondern um eine Maßnahme zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft.“ (Rz. 7)

Nach Ansicht des beklagten Sozialhilfeträger unterlag der Besuch der Offenen Ganztagesschule am Nachmittag nicht der allgemeinen Schulpflicht. Es handelte sich also um eine freiwillige Teilnahme an einer Unterrichtsveranstaltung (vgl. auch Rz. 22). Entsprechend sollten die unterhaltspflichtigen Eltern gem. § 92 Abs. 2 SGB XII eigene Mittel aufbringen, um den Integrationsassistenten zu bezahlen.

Das Gericht hat allerdings den Begriff der „angemessenen Schulbildung“ weiter verstanden. Demzufolge begrenzt sich eine angemessene Schulbildung nicht auf die Schulbesuchszeiten, welche im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht anfallen. Das Gericht sagt:

„Erforderlich ist aber, dass im Rahmen der in Rede stehenden Förderung Maßnahmen erfolgen, die den Schulbesuch erleichtern oder überhaupt erst ermöglichen (vgl. LSG Schleswig-Holstein, Urteil vom 06.10.2008, Az.: L 9 SO 8/08). Ausgangspunkt ist dabei, dass die Betreuung speziell auf die schulischen Maßnahmen abgestimmt ist und zu einer noch zu erreichenden gewissen Schulbildung führt. Es muss ein überwiegender Bezug zur schulischen Ausbildung bestehen. Nicht ausreichend ist dagegen, dass im Rahmen einer Maßnahme positive Nebeneffekte auch für die schulische Entwicklung eintreten können.“ (Rz. 23)

Und weiter:

„Zwar besteht keine schulrechtliche Pflicht zur Teilnahme an der OGS, worauf die Beklagte abstellt, das könnte dagegen sprechen, dass es sich kurz gesagt um "Schule" handelt. Allerdings handelt es sich um eine freiwillige Schulveranstaltung, die letztlich den wesentlichen Schulalltag abbildet, wie heutzutage "Schule" angeboten werden soll. Unter Beachtung des besonderen Sinn und Zwecks der Eingliederungshilfe, gerade dem jungen, behinderten Menschen zu ermöglichen, seinen optimalen Platz im Leben in der Gemeinschaft zu finden, ist die OGS eine regelmäßige schulische Veranstaltung und somit "Schule" im alltäglichen Sinne, wie bereits auch der Alltagsbegriff "Offene Ganztagsschule" deutlich zeigt.“ (Rz. 24)

Und schließlich ganz klar und deutlich:

„Eine enge Auslegung des Begriffs der angemessenen Schulausbildung ist hier nicht geboten.“ (Rz. 29)

Fazit:

Die Leistungen der Eingliederungshilfe, insbesondere bezogen auf die Erlangung einer angemessenen Schulbildung, beschränken sich nicht nur auf „Pflichtteil“, sondern können unabhängig von der Schulpflicht auch auf den Besuch einer Offenen Ganztagesschule angewendet werden.

Das Gericht hat hier eine Entkoppelung vorgenommen, die sicherlich auch auf andere Bereiche anzuwenden wäre, die bislang immer mit dem Hinweis auf die Grenzen der Erforderlichkeit und Angemessenheit ablehnend beschieden worden sind.

Nicht in Frage gestellt wurde seitens des Sozialhilfeträgers, ob die antragstellende Person überhaupt ein Anrecht auf einen Integrationsassistenten hatte oder nicht. Vielmehr ging es hier im Verfahren um die Pflicht der Eltern zur Beteiligung an den Kosten.

CGS








Dieser Beitrag wurde veröffentlicht auf http://eingegliedert.blogspot.de/

Freitag, 20. März 2015

Änderungen beim RBS 3 wirken sich nun doch nicht auf die Vergütungen aus (aktualisiert)

Das BMAS hat nun doch eine Weisung herausgebracht und ausdrücklich diejenigen ausgeklammert vom RBS1-Bezug, die in stationären Wohneinrichtungen leben. Von daher wird es für die Träger dieser Einrichtungen nicht noch mehr Geld geben. Schade, aber verständlich!

Die folgenden Absätze enthalten somit veraltetes Wissen.

Mit den jüngsten Entwicklungen beim Thema Regelbedarfsstufe 3 (RBS 3) könnte es für diejenigen Träger, die bisher dem neuen zeitbasierten Kalkulationsverfahren skeptisch bis feindlich gegenüber standen, nun wirklich sehr schwer gemacht werden.

Das BMAS gab bekannt, dass man einer Forderung des Bundessozialgerichts nachkommt und Menschen, die aufgrund ihres Wohnsitzes bei den Eltern eine abgesenkte Regelbedarfsstufe von monatlich 313 Euro erhalten (RBS 3), den höheren Satz der RBS 1 von monatlich 391 Euro zahlen wird. Eine entsprechende Weisung wird von Frau Arbeitsministerin Nahles erteilt. Zuständig für die Umsetzung sind allerdings die Bundesländer.

Die RBS 3 ist Teil der neuen Vergütung im neuen Vergütungssystem. Von daher sollte sich diese Entscheidung unmittelbar auf die (noch kommenden) Vergütungssätze der beteiligten Träger auswirken. Und das nicht zu knapp! Denn mit monatlich 78 Euro / täglich 2,56 Euro pro Bewohner mehr ergeben sich Steigerungsraten, natürlich je Hilfebedarfsgruppe, von gut und gerne 2 bis 3 %.

Im alten Vergütungssystem war die RBS 3 kein Kalkulationsbestandteil! Wer als Träger jetzt nicht mitzieht, wird nicht daran beteiligt – wobei es noch lange nicht klar ist, ob es nicht doch wieder eine RBS 3 gibt für solche Menschen, die zwar nicht bei ihren Eltern leben, aber in stationären Wohngruppen.

Und ich frage mich auch, ob die Trägerbudget-Teilnehmer hiervon ebenfalls profitieren werden.

CGS






Donnerstag, 19. März 2015

Störfeuer zum aktuellen Arbeitsstand der AG BTG (Bundesteilhabegesetz)

Hier passiert mal wieder was!

Am 12.3.2015 schloss die 8. Sitzung der Arbeitsgruppe zum neuen Bundesteilhabegesetz. In dieser vorletzten Sitzung ging es um die „finanziellen Aspekte“. Doch offenbar gibt es Störfeuer vom Bundeskabinett, denn das beschloss am 18.3.2015 kommunale Entlastungen über „andere Wege“. Was genau damit gemeint ist, eröffnet sich einem Leser der Pressemitteilung des BMF ganz gewiss nicht. Man muss schon die Pressemitteilung der Deutschen Landkreistags lesen, um den Zirkelschluss zu machen (siehe Links weiter unten).

Im Koalitionsvertrag soll lediglich die Entlastung der Kommunen im Umfang von 5 Mrd. Euro vereinbart sein. Und Priorität hat nun einmal die „kommunalfreundliche Politik des Bundes“ (Quelle: interner Gesprächsvermerk des BMAS zum „Koalitionsfrühstück am 17.3.2015“). Begründet wurde diese Maßnahme übrigens damit, dass „eine zielgenaue Entlastung der Kommunen im System der Eingliederungshilfe“ nicht möglich sei. Und weil der Koalitionsvertrag sich (vermutlich) ausschweigt über Maßnahmen zur Leistungsverbesserung und strukturellen Veränderungen, wird eine neue Sicht auf die Dinge eingenommen. Nicht zuletzt erreicht man damit auch, dass eine neue Ausgabendynamik nicht entsteht – wenn man es genau nimmt, dann handelt es sich um eine zeitlich und in seiner Höhe begrenzte Unterstützung der Kommunen. Es kann also alles so bleiben, wie bisher.

In dem internen Papier heißt es weiter:

„… Die Behindertenverbände äußerten die Befürchtung, dass durch die Entkoppelung nunmehr die ‚Lokomotive‘ für ein substanzielles Bundesteilhabegesetz, das auch Leistungsverbesserungen für die Menschen mit Behinderungen umfassen müsse, entfallen würde. Ohne eine Koppelung an die kommunale Entlastung - so die Befürchtung - würde der Reformdruck nachlassen und das ganze Gesetz stünde zur Disposition. …“ (Hervorhebung von mir).

Genau dies führt bei den Interessensverbänden zu Kritik.

Die Bundesvereinigung der Lebenshilfe e.V. sieht im Bundesteilhabegesetz das „wichtigste behindertenpolitische Vorhaben dieser Legislaturperiode“. Sie verlangt, dass auch „nach Änderung der Finanzströme … an dem Vorhaben festgehalten und die Behindertenrechtskonvention mit einem modernen Teilhabegesetz umgesetzt werden [muss] – so wie es der Koalitionsvertrag vorsieht.“ (Quelle: Extra-Newsletter der Bundesvereinigung Lebenshilfe vom 19. März 2015).

Die umfangreichen Vorarbeiten, die von verschiedenen Interessenten geleistet worden sind, könnten nun vergebens gewesen sein. Auch der Paritätische Wohlfahrtsverband sieht mit Sorge, dass die Sicherstellung der Finanzierung „auf andere Weise“ den Umbau des bisherigen Fürsorge-Systems in ein System der Teilhabe-auf-Augenhöhe zum Erliegen bringen wird. (Quelle: Newsletter des Paritätische Gesamtverbands vom 18./19.3.2015).

Am 6.10.2014 hatte ich in einem Beitrag die Frage gestellt, ob das neue Bundesteilhabegesetz gestoppt wird, noch bevor es an Fahrt aufgenommen hat. Zwischenzeitlich gab es dann noch aus dem Dunstkreis der Hamburger Sozialbehörde ein eher abschwächendes Signal, was die Zukunft der Arbeitsgruppe anbelangte.

Wie gesagt, die Interessensverbände befürchten, dass ohne finanziellen Druck, die Länder und Kommunen nicht mehr an der Weiterarbeit interessiert sind. Das Gesetz könnte stoppen und als Begründung könnte angeführt werden, der Reformbedarf ist zwar vorhanden, aber die Umsetzung äußerst problematisch. Und wenn dann auch noch die Vorhersage, dass die Ausgabensteigerung der Eingliederungshilfe bis 2020 auf 21,6 Mrd. Euro (Quelle: interner Gesprächsvermerk des BMAS zum „Koalitionsfrühstück am 17.3.2015“) nun nicht eintrifft, wird die dann herrschende Politik-Kaste das Gesetzesvorhaben zur endgültigen Ruhe betten.


CGS


Quelle:







Freitag, 6. März 2015

Die Anträge auf Schulbegleitung / Integrationsassistenz müssen jetzt wieder gestellt werden

Es ist wieder soweit: Wenn ein Schüler mit Behinderung eine Schulbegleitung bzw. Integrationsassistenz braucht, dann müssen jetzt seitens der Erziehungsberechtigten oder rechtlichen Betreuern Anträge bei den Sozialhilfeträgern gestellt werden.

Das heißt: Es empfiehlt sich, jetzt schon die Anträge auf den Weg zu bringen, damit einerseits die Ämter und Behörden Zeit haben, fachliche Stellungnahmen einzuholen, andererseits auch bei einer Ablehnung die Eltern ins Widerspruchsverfahren zu gehen. Auch wenn es noch so lange hin scheint bis zum neuen Schuljahr, in der Zeit der Sommerferien passiert in der Regel nicht viel.

Wenn es „lediglich“ um eine Verlängerung der bestehenden Hilfeleistungen geht, dann ist in einigen Landkreisen und Kommunen mit Widerständen der Sozialhilfeträger zu rechnen. Noch immer geistert das Gespenst des Begriffs „Kernbereich der pädagogischen Arbeit“ umher, welcher durch den Sozialhilfeträger immer dann herangezogen wird, wenn Zweifel an der Notwendigkeit einer Schulbegleitung bestehen – „böse Zungen“ behaupten dagegen, dass es grundsätzlich den Sozialhilfeträgern um die Einsparung von Haushaltsmitteln geht.

Um dieses Problem also gar nicht groß aufkommen zu lassen, empfiehlt es sich, in beizufügenden Stellungnahmen und Schulberichten ganz klar eine Abgrenzung vorzunehmen. Es geht also nicht um schulische-pädagogische Hilfen, wie z.B. Nachhilfe, Hausaufgabenhilfe oder Vermittlung von Lerninhalten, sondern es geht um Unterstützungsleistungen, die dem Schüler mit Behinderung die Erlangung einer angemessenen Schulbildung ermöglicht (vgl. § 54 Abs. 1 Nr. 1 SGB XII).

Darunter fallen gem. § 12 der Eingliederungshilfe-Verordnung:

„1.
heilpädagogische sowie sonstige Maßnahmen zugunsten körperlich und geistig behinderter Kinder und Jugendlicher, wenn die Maßnahmen erforderlich und geeignet sind, dem behinderten Menschen den Schulbesuch im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht zu ermöglichen oder zu erleichtern,

2.
Maßnahmen der Schulbildung zugunsten körperlich und geistig behinderter Kinder und Jugendlicher, wenn die Maßnahmen erforderlich und geeignet sind, dem behinderten Menschen eine im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht üblicherweise erreichbare Bildung zu ermöglichen,

3.
Hilfe zum Besuch einer Realschule, eines Gymnasiums, einer Fachoberschule oder einer Ausbildungsstätte, deren Ausbildungsabschluß dem einer der oben genannten Schulen gleichgestellt ist, oder, soweit im Einzelfalle der Besuch einer solchen Schule oder Ausbildungsstätte nicht zumutbar ist, sonstige Hilfe zur Vermittlung einer entsprechenden Schulbildung; die Hilfe wird nur gewährt, wenn nach den Fähigkeiten und den Leistungen des behinderten Menschen zu erwarten ist, daß er das Bildungsziel erreichen wird.“

Gerade Ziffer 2 wird zu Problemen führen, weil die Auslegung letztlich doch in den Kernbereich der pädagogischen Arbeit hineinreicht.

Die Sozialhilfeträger müssen prüfen, ob eine Leistungspflicht seitens des Schulträgers besteht. In Schleswig-Holstein ist dies der Fall, da das Schulgesetz die Schulträger zur Inklusion verpflichtet. Nach einem Rechtskommentar kommt in so einem Fall nicht der Sozialhilfeträger für die Schulbegleitung auf, sondern der Schulträger (vgl. S. 421, Rz. 53 zu Nr. 5, § 54 in Bieritz-Harder in „LPK-SGB XII“).

Doch die Schulträger könnten trotz Pflicht zur Inklusion immer auf den Ressourcenvorbehalt, der sich ebenfalls im Schulgesetz wiederfindet, verweisen und damit faktisch die Unterstützungsleistung verweigern. Problematisch ist zudem, dass der persönliche Anspruch eines Hilfeberechtigten im selben Schulgesetz nicht festgeschrieben ist – m.a.W. der Anspruch kann zwar individuell bestehen, aber die Leistungserbringung muss sich nicht konkret auf die Abstellung des Anspruches beziehen. Eine ganz schräge Nummer!

Nochmal: Der Hilfebedarf darf sich nicht auf solche Maßnahmen wie Nachhilfe oder Hausaufgabenbetreuung beziehen, denn dann kann der Leistungsträger sofort an den Schulträger verweisen. Es ist nicht Aufgabe der Schulbegleitung, Lerninhalte zu vermitteln!

In einer Entscheidung des LSG Stuttgart wurde ein Landkreis zur Übernahme der Kosten für eine Schulbegleitung verpflichtet (siehe Quellenangabe und Link weiter unten). Darin heißt es:

„…Den Kernbereich der Schule sah das Landessozialgericht durch die für die Klägerin erforderlichen Hilfen nicht als betroffen an, weshalb der Landkreis als für die Gewährung von Eingliederungshilfe zuständiger Träger leistungspflichtig sei. Die Schulbegleiterinnen hätten gerade keine Lehrinhalte vermittelt, sondern lediglich unterrichtsbegleitende unterstützende Leistungen erbracht, wie eine Fokussierung der Aufmerksamkeit auf das Unterrichtsgeschehen, die Verdeutlichung von Aufgabenstellungen, Unterstützung bei der Auswahl der richtigen Bücher und Hefte und kommunikative Hilfestellungen. Damit hätten sie keine sonderpädagogischen Aufgaben wahrgenommen.“

CGS


Quelle:






Montag, 2. März 2015

Schulnoten

In einem länger zurückliegenden Beitrag hatte ich mich mit dem neuen Schulgesetz in Schleswig-Holstein und der dazu gehörigen Verordnung ein wenig auseinandergesetzt. Mit dem neuen Gesetz soll es fortan keine Schulnoten mehr geben bis zum Erreichen der 6. Klasse (vgl. Beitrag Nr. 34 vom 25.9.2014, sowie RegVO-SH i.V.m. § 16 SchulG-SH).

Am 14.6.2006 berichtete Zeit-Online (www.zeit.de) unter dem Titel „Schlechte Zensur für Noten“ über die Unzuverlässigkeit von Schulnoten. Angeführt wurden zwei Experimente, bei denen identische Aufsätze zuerst von 42 und später sogar von 110.000 Lehrern benotet wurden. Als Fazit wurde festgehalten:

„…Mehr als zehn Prozent der benoteten Aufsätze wurden mit Noten zwischen »sehr gut« und »ungenügend« bewertet. Auch ein Schwung identischer Aufsätze, der einer kleineren Gruppe von Gymnasiallehrern vorgelegt wurde, bekam Noten wie aus dem Zufallsgenerator.“

Das sind noch immer etwas weniger als 90 %, bei denen die Benotung in einen engeren Kreis fällt. Doch wenn bestenfalls 90 % der Noten eine nahezu objektive Leistungsbeurteilung wiederspiegeln, heißt es nicht, dass Ziffernnoten Selbständigkeit und Leistungswillen bei den benoteten Schülern fördern. Es darf nicht vergessen werden, dass genau solche pädagogischen Ziele es ermöglichen, das Fürsorge-System mit seinen Abhängigkeiten und einer anerzogenen Hörigkeit abzubauen. Schüler sollen in die Lage versetzt werden, ihre Selbsteinschätzung zu verbessern (Divergenz zwischen Fremdbild und Selbstbild), und lernen, mit Kritik konstruktiv umzugehen.

Der Grundschulverband e.V. brachte unter dem Titel „Sind Noten nützlich und nötig?“ eine wissenschaftliche Expertise unter der Leitung von Hans Brügelmann heraus. Es wird darin u.a. gefordert, dass Ziffernnoten durch differenziertere Formen der Dokumentation und Leistungsbewertung ersetzt werden. Das bisherige System fördert dagegen eine Art Selektionsdruck.

In dieser Expertise wird herausgestellt, dass Zensuren zwar Urteile von „Lehrpersonen“ sind, was auf eine gewisse Erfahrung, Übung und Fachlichkeit schließen lässt, doch die Daten weisen in eine andere Richtung. Sei es, dass Benotungen in einer viel zu kleinen Population erfolgen oder Herkunft, Geschlecht, Verhaltensauffälligkeiten und persönliche Sympathie zu systematischen Verzerrungen der Beurteilung führen, erst wenn Noten nicht einem „Selektionszweck“ dienen, verlieren diese Faktoren an Bedeutung.

Menschen mit Behinderung leben größtenteils noch in einem Fürsorge-System, dessen weitere Existenz gerade jetzt in die Diskussion gekommen ist. Es wird zu verfolgen sein, wie das Thema „Inklusive Schule“ nun an Dynamik gewinnt und weitere Veränderungen auf den Ebenen Schule, Klasse und Gesellschaft (Elternhaus) auslöst.  

CGS


Quelle:









Sonntag, 22. Februar 2015

Die ASMK äußert sich zum BTG

Im Ergebnisprotokoll der der 91. Konferenz der Ministerinnen und Minister, Senatorinnen und Senatoren für Arbeit und Soziales der Länder am 26. und 27. November 2014 in Mainz (kurz: 91. ASMK 2014) gab es im Hinblick auf das Bundesteilhabegesetz (BTG) einige sehr konkrete Forderungen (TOP 5.1 Schaffung eines Bundesteilhabegesetzes, Seite 6 f.). Diese alle wiederzugeben bzw. kritisch darauf einzugehen, würde meine sonstige Arbeit unangemessen belasten. Von daher habe ich zwei Punkte herausgesucht, die mir beachtenswert erscheinen.

Zuerst einmal werden die bisher genannten Eckdaten zum neuen BTG positiv aufgenommen. Man erwartet, dass noch in 2015 ein erster Gesetzentwurf entsteht, welcher dann im Folgejahr von Bundesrat und Bundestag verabschiedet werden kann und zum 1.1.2017 in Kraft tritt. In Ziffer 4 werden dann einige Konkretisierungen gemacht:

1.      Ziel soll sein, die „Inklusion von Menschen mit Behinderungen zu verbessern und andererseits die erforderlichen Finanzierungswirkungen zu erreichen“. Da es sich um eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe handelt, soll der Bund die Kosten gesamt übernehmen. In Rede stehen zwar nach wie vor die 5 Mrd. Euro, doch auch bei möglichen Leistungsausweitungen soll der Bund hierfür einstehen (Seite 7).

Natürlich wird anerkannt, dass ein solcher Betrag refinanziert werden muss. Verwiesen wird hierzu auf den in der 90. Sitzung der ASMK vorgelegten „Bericht zur Weiterentwicklung der Eingliederungshilfe und zur Schaffung eines Bundesleistungsgesetzes (vgl. Teil C)“.

Eine Form der Refinanzierung wird sein, andere Leistungsträger, wie z.B. die Pflegeversicherung, stärker in die Pflicht zu nehmen. Gerade die Problematik der Abgrenzung von Leistungen bei pflegebedürftigen Menschen mit Behinderung zwischen Pflegeversicherung und Eingliederungshilfe könnte zu Lasten der Pflegeversicherung aufgelöst werden. In der Folge wäre eine Steigerung der Beitragssätze in der Pflegeversicherung notwendig.

2.      Dort, wo mehrere Stellen in der Leistungspflicht stehen, wie eben schon dargestellt, soll die „Leistungsträgerschaft“ in einer Hand verbleiben. Man spricht hier vom Grundsatz der „Hilfe aus einer Hand“ – und diese Hilfe soll beim Träger der Eingliederungshilfe angesiedelt werden (Seite 8).

Es gibt allerdings Kritik an diesen Vorstellungen: So wird befürchtet, dass die Verortung der Gesamtverantwortlichkeit bei den jetzigen Sozialhilfeträgern zu einer Streichung von Leistungsansprüchen führen. Man unterstellt, dass niedrige Personalressourcen gepaart mit mangelnder Fachkompetenz (außerhalb des eigenen Fachbereichs, muss man ausdrücklich dazu sagen) keine ganzheitliche Bedarfsdeckungsleistung gewährleisten.

Ich habe mir diese beiden Punkte herausgegriffen, weil ich sie im ersten Fall für „typisch“ und im zweiten Fall für „problematisch“ erachte. Man kann sich dem Eindruck nicht erwehren, dass die Politik immer versucht, andere Quellen zum Stopfen von Haushaltslöchern aufzutun. Wenn die Pflegeversicherung „angezapft“ wird, müssen diejenigen, welche die Beiträge hierfür aufbringen, noch mehr leisten. Vor diesem Hintergrund versteht sich mein Misstrauen.

Dass die Leistungsträgerschaft dagegen an einer Stelle zentral verortet werden soll, halte ich zwar einerseits für richtig, aber es bleibt noch immer beim Hilfebedürftigen, den Bedarf konkret zu benennen und Gegenforderungen zu entkräften gegenüber Entscheidern, die womöglich überfordert sind.

CGS


Quellen:







Freitag, 13. Februar 2015

Ein neues zeitbasiertes Kalkulationsverfahren in Hamburg (Stationäres Wohnen)

Während vier große Leistungserbringer in Hamburg eine Rahmenvereinbarung mit Trägerbudget unterzeichnet haben, müssen sich die vielen, kleineren Leistungserbringer an einem neuen, zeitbasierten Leistungs- und Vergütungssystem beteiligen. Täten sie es nicht, müssten sie mit einer Kündigung der Leistungsvereinbarung rechnen, und dann würden sie an zukünftigen Beschlüssen der  Vertragskommission zum Landesrahmenvertrag (VK) zu Vergütungssteigerungen nicht teilnehmen (so zumindest die Sorge).

Schon jetzt steht fest, dass die Einführung zu einer enormen Umverteilung von Geldern führen wird, wobei noch längst nicht alle Einzelheiten klar sind. Die Verhandlungen auf der Ebene der Verbände sind abgeschlossen, nun sind die Träger der Einrichtungen gefordert.

Herzstück des neuen Systems ist das zeitbasierte Kalkulationsverfahren, wobei die Einführung eines Stundensatzes (pro Träger) eine eher untergeordnete Rolle spielt. Die beiden wesentlichsten Ziele, die mit dem neuen System verfolgt werden, sind die Einhaltung von Haushaltsvorgaben der Stadt (d.h. das zu verteilende Budget) und die Sicherung der Betreuungsleistung (d.h. die im Einsatz befindlichen Stellen für das Betreuungspersonal).


Umstellung des bisherigen Vergütungssystems von Tages- auf Stundensätze

Im bisherigen Vergütungssystem errechnete man aus der Platzkapazität, einem Auslastungsgrad und der Kalendertage im Jahr (unter Berücksichtigung einer Anpassung für Schaltjahre) einen Divisor. In jedem errechneten Divisor steckte somit im Kern der Operand „365,25“ (entsprechend der Formel: (365 + 365 + 365 + 366) / 4) für Kalendertage im Jahr.

Im neuen System geht dies natürlich nicht. Man verwendet stattdessen eine Größe, die man schon in früheren Verhandlungen zwischen den Verbänden der Leistungserbringer und der Stadt Hamburg als Leistungsträger zu stundenbasierten Leistungen im ambulanten Bereich verhandelt hatte: die Nettojahresarbeitszeit (NJAZ) einer Vollzeit-Betreuungskraft ausgedrückt in Stunden per annum (vgl. VK-Beschluss vom 15.6.2007).

Bei der NJAZ handelt es sich um eine stundenbasierte Größe, welche die Wochenarbeitszeit einer Vollzeitkraft hochrechnet auf ein Jahr und dabei berufsspezifische Minder- und typische Ausfallzeiten, wie z.B. Urlaube, Feiertage und Krankheitsabwesenheiten, berücksichtigt. Ausgangsgröße für die Ermittlung der NJAZ ist dabei die Bruttoarbeitszeit, welche sich aus der tariflichen Wochenarbeitszeit einer Vollzeitkraft, ausgedrückt in z.B. 40- oder 38,5-Stunden-Woche, hochrechnen lässt. Anschließend werden die tariflichen und gesetzlichen Minderzeiten davon in Abzug gebracht und eine angemessene Ausfallzeit wg. Arbeitsunfähigkeit berücksichtigt.

Die Kommunale Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsmanagement (www.kgst.de) wird z.B. mit einer NJAZ von 1.574 Stunden in einigen Unterlagen mit Hinweis auf die KGSt-Berichte 7/98, 8/2001 und 6/2002 zitiert, wobei es sich um die „bereinigte Arbeitszeit einer Normalarbeitskraft“ handeln soll. Für die eigenen Zwecke hatte das Land Nordrhein-Westfalen im (Landes-) Rahmenvertrag von 2003 diesen Wert noch einmal um 10 % reduziert für berufsspezifische Minderzeiten; allerdings handelt es sich hierbei um nicht-klientenbezogene, also indirekte Leistungszeiten, die im Hamburger Vergütungsmodell in der Fachleistung wiederum enthalten sind. Davon abgesehen muss man auch berücksichtigen, dass es regionale Unterschiede bei den Feiertagen und nicht zuletzt tarifvertragliche Besonderheiten gibt, welche die NJAZ deutlich verändern können.

Nach einem Beschluss der VK in Hamburg vom 15.6.2007 werden grundsätzlich 1.629,80 Stunden auf Basis der 39-Stunden-Woche als NJAZ anerkannt. Darin enthalten sind 42,94 Ausfalltage bzw. 17,05 % Ausfallquote. Bei einer 38,5-Stunden-Woche gelangt man dagegen zu einer NJAZ von 1.608,50 Stunden. Angeblich sei diese nicht mehr vereinbarungsfähig, aber das kann auch daran liegen, dass die entsprechenden Nachweise der Sozialbehörde noch vorzulegen sind. Einen solchen Nachweis bietet in erster Linie der Tarifvertrag an, entsprechende aussagekräftige, nachvollziehbare Statistiken können hier unterstützend wirken.

Übrigens sind Platzkapazität und Auslastungsgrad mit dem neuen Vergütungssystem kein Thema mehr. Wer in der seinerzeitigen Datenerhebung eine Unterauslastung mitgeteilt hatte oder, noch schlimmer, im Vertrauen auf mögliche Neuzugänge einen höheren Personalstand meldete, für den ist der Auslastungsgrad jetzt ein Thema. Ein Ansatzpunkt könnte hier die Vereinbarung über das anstehende Verfahren zwischen den Leistungserbringern und dem Leistungsträger sein. Wenn wesentliche Abweichungen zwischen den seinerzeit gemeldeten Daten und dem aktuellen Stand bestehen, könnte eine Berücksichtigung in gewisser Weise stattfinden. Zu Gute sollte kommen, dass die „Wesentlichkeit“ im letzten VK-Beschluss aus 2014 nicht weiter definiert worden war.


Einhaltung von Haushaltsvorgaben

Das zweite Ziel, die Einhaltung der Haushaltsvorgaben, machte es erforderlich, dass vom Leistungsträger zuallererst einmal in Erfahrung gebracht werden musste, wie hoch das bisherige Budget für diesen Leistungsbereich ausfiel – aufgeteilt in die Kategorien: Personalkosten pro Vollzeitstelle, Lebensmittel und Sachkosten. Im Jahr 2013 fand eine erste Datenerhebung statt. Da allerdings einige Träger von Einrichtungen, sich schlichtweg weigerten ihre Daten offenzulegen, und viele andere die Fragestellungen missverstanden, erbrachte die Auswertung keine klaren Antworten. Stattdessen zeigten sich eklatante Unterschiede. Mit einer erneuten Datenerhebung zum Stichtag 1.1.2014 sollte von daher die Grundlage für das neue Kalkulationsverfahren gelegt werden.

Weil der entsprechende Haushaltstitel die „Deckelung“ ausmachte und auf keinen Fall überschritten werden durfte, mussten sich alle anderen Positionen dem unterordnen. Das machte es wiederum erforderlich, dass eine Leistungsposition (oder Kategorie innerhalb des Budgets, sozusagen) je nach Verhandlungsfortschritt anzupassen war.

Statt die Formel „ax + b = c“ zu schreiben (mit „c“ für Gesamtbudget), drehte man einfach die Formel um und löste nach „b“ auf.

Egal was die weiteren Verhandlungen erbringen würden, z.B. Versuche von Leistungsausweitungen, der Haushalt würde niemals überschritten werden können. Solche Versuche gab es, liefen aber systembedingt ins Leere; besonders ein Versuch in der sprichwörtlich letzten Minute scheiterte kläglich.


Sicherung der Betreuungsleistung

Das dritte Ziel, nämlich die Sicherung der Betreuungsleistung, ist die sprichwörtliche Krönung des neuen Leistungs- und Vergütungssystems. Denn durch die höchstrichterliche Vorgabe, dass Tarifverträge als „wirtschaftlich und sparsam“ anzusehen sind, hätte in zukünftigen Schiedsstellen- und Sozialgerichtsverfahren bei einigen Trägern von Einrichtungen eine Anhebung der Vergütungen um zweistellige Prozentsätze stattfinden müssen. Von daher musste das neue System diesem Umstand Rechnung tragen.

Dadurch, dass man frühzeitig die Anzahl der Stellen und die durchschnittlichen Personalkosten pro Vollzeitstelle kannte, konnte man den Trägern zusichern, dass die Stellen für das Betreuungspersonal wie auch die darauf entfallenden Personalkosten im neuen Vergütungssystem refinanziert werden würden. Für alle übrigen Stellen, wie z.B. die Verwaltungskräfte, gab es eine solche Zusicherung nicht. Indem man die bekannten Stellen mit den jeweiligen Personalkosten hochrechnete zu einem Personalkostenbudget (innerhalb des Gesamtbudgets), musste man nur noch den Rest „wie auch immer“ verteilen.

Der Rest teilte sich dann weiter auf in einen Anteil für die Lebenshaltungskosten der einzelnen Bewohner in stationären Einrichtungen (d.h. Regelbedarfsstufe 3 und Betriebskosten-Warm), damit auch die Bedürfnisse der leistungsberechtigten Menschen abgedeckt waren, sowie einen Anteil für die sonstigen Personal-, Verwaltungs- und Sachkosten. Dass es gerade bei letztem Punkt zu teilweise herben Einschnitten bei den Leistungserbringern gekommen ist, kann als Opfer angesehen werden.

Aufgrund dieser Differenzierung haben diejenigen Leistungserbringer einen Vorteil, deren Personalkosten beispielsweise unterhalb des Durchschnitts aller Einrichtungen innerhalb eines Tarifes liegen. Die teuren Träger müssen zusehen, dass sie ihr Personal fluktuieren lassen, die Fachkraftquote abbauen oder sogar Stellen abbauen. Doch gerade letzter Punkt lässt sich nur unter Beachtung des notwendigen Stundenkontingents aus der Summe der Stundebemessung pro Leistungsstufe und der jeweiligen Belegung umsetzen.

Die Stundenbemessung pro Leistungsstufe erfolgte nicht aufgrund einer analytischen, statistischen oder bedarfsorientierten Maßnahme, sondern rein aus kalkulatorischen Gründen. Die am Stichtag 1.1.2014 erhobenen Belegungsdaten wurden quasi 1:1 umgesetzt in Leistungsstufen – Ausnahme: HEG 1 / HBG 1 werden nunmehr „zwangsambulantisiert“. Mit den bekannten Stellen und der festgelegten NJAZ (siehe oben) wurde ein Stundenkontingent ermittelt, welches sich dann im Wege einer händischen Verteilung um die mittlere Leistungsstufe 2 (vormals HEG 3 / HBG 3) verteilte. Am Ende der Verteilung gab es nur noch kleine Reste an nicht verteilten Stunden oder ein leichter Überhang.

Da Stunden faktisch gleichzusetzen sind mit Stellen für das Betreuungspersonal, ist in der Gesamtschau die Betreuungsleistung gesichert – denn es wird weder an den Personalkosten noch an den Stellen gespart!

Dass die Ergebnisqualität trotzdem leiden wird, hängt damit zusammen, dass diese Verteilung für alle Leistungserbringer gleich ist. Früher gab es noch genau definierte Stellen pro Einrichtung, manchmal sogar ein Stellenschlüssel. Doch mit dem neuen System werden trägerseitige Unterschiede abgeschafft. Rechnerisch ergibt sich aufgrund der gemeldeten Leistungsberechtigten und Stellen in den Einrichtungen ein Stellenschlüssel von 1:1,7 – es gibt Träger, die noch einen besseren Stellenschlüssel aus früheren Jahren im Einsatz hatten (d.h. niedriger als 1,7), so dass diese Personal und ggf. sogar Strukturen abbauen müssen. Für die Bewohner solcher Träger bedeutet es subjektiv eine Verschlechterung der Betreuungsqualität.


Fazit

Das neue zeitbasierte Kalkulationsverfahren wird Änderungen bedingen. Es gibt Träger von Einrichtungen, die mit erheblichen Fehlbeträgen rechnen müssen. Doch weil es sich um eine Verteilung um einen Durchschnitt handelt, gibt es auch Gewinner. Ob diese nun Stellen aufstocken werden, welche die anderen abgeben müssen – das wird man sehen. Die Erfahrung mit solchen Situationen lehrt, dass solche materiellen Umverteilungen eher zu einem Abbau von Strukturen und Gewinnmitnahmen führen.

Man darf auch gespannt sein, wen es wie (hart) treffen wird. Meine Vermutung ist die, dass besonders die kleinen und bislang günstigsten Träger schwer getroffen werden. Die großen und etwas größeren Träger, also nicht nur diejenigen mit den Rahmenvereinbarungen, werden sich, wenn sie sich nicht vorab schon gut positioniert haben, in den kommenden Jahren einem Strukturwandel unterziehen. Hierzu wäre es dann hilfreich, wenn die bisherigen Differenzierungen zwischen den unterschiedlichsten Leistungsbereichen (d.h. PBW, AWG und Stationäres Wohnen) aufgegeben werden.

Aufgrund einer noch zu vereinbarenden trägerindividuellen Übergangs- bzw. Konvergenzphase könnte einige Träger, besonders diejenigen, die den „Geber-Status“ innehaben, versucht sein, zu fusionieren. Sogenannte Trägerkooperativen / Trägergenossenschaften hat es schon in anderen Bundesländern gegeben, doch solche Modelle gelingen meines Erachtens nur, wenn Synergieeffekte erzielt werden können (z.B. gemeinsame Verwaltungsstrukturen).

Nicht zuletzt stellt sich die Frage, ob es Leistungserbringer geben wird, die zu keinem Ergebnis in den Verhandlungen kommen. Würde die Behörde tatsächlich Leistungsvereinbarungen kündigen?

Was planen die Verbände der Leistungserbringer? Gibt es noch in den kommenden Monaten eine Anhebung der Grund- und Maßnahmepauschalen? Oder wird man die Berechnungsgrundlagen, z.B. die durchschnittlichen Personalkosten oder die Pauschale für Sonstiges Personal & Sachkosten anheben?

Viele Fragen! Für den Moment scheint die Strategie der Stadt Hamburg aufzugehen: Umstellung auf ein stundenbasiertes System, Einhaltung von Haushaltsvorgaben und Sicherung der Betreuungsleistungen.

Damit erfüllt sich der Grundsatz: Alle im System befindlichen Stellen zum Umstellungszeitpunkt, werden erhalten bleiben. Kein Qualitätsverlust in der Betreuung, oder?!

CGS